Biodiversitätskonferenz: Gegen die Zweiteilung

Nr. 50 –

Die Welt ist ungerecht. Schon rein geografisch – Metalle, fruchtbare Böden, Krankheitsrisiken, Klimaextreme und Artenvielfalt sind auf dem Planeten höchst ungleich verteilt. Bei den Arten spielt vor allem der Breitengrad eine Rolle: Je näher am Äquator, desto mehr Vielfalt. Neben Bodenschätzen waren es vor allem Lebewesen – und ihre Teile –, die früh die Begehrlichkeiten des Nordens weckten: Tropenholz, Gummi, Elfenbein, Pelze, Nutzpflanzen … Heute stehen genetische Ressourcen im Vordergrund, aber auch der legale und illegale Handel mit Wildtieren und -pflanzen boomt. Bedroht ist nicht nur die «wilde» Biodiversität, sondern auch die riesige Vielfalt an Nutzpflanzen und -tieren, verdrängt von den Hochleistungssorten der Agroindustrie. Biodiversität ist nicht nur die Natur «dort draussen», sondern unentwirrbar verknüpft mit sozialen und kolonialen Fragen.

Das Thema «biologische Vielfalt» ist eng mit Menschen­rechtsfragen verknüpft.

Das zeigt auch die 15. Uno-Biodiversitätskonferenz (COP 15), die derzeit in Montreal stattfindet und sich auf neue Ziele für das laufende Jahrzehnt einigen soll. Auf den zweijährlich stattfindenden Konferenzen beraten die Staaten über die Umsetzung des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD), das auf dem sogenannten Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 erarbeitet wurde. Eine der grossen Streitfragen der Konferenz ist durch und durch (post)kolonial. Es geht darum, wer ein Recht auf die genetischen Ressourcen aus dem Süden hat, deren Nutzung etwa für die Pharmaindustrie «dank» synthetischer Biologie einfacher denn je geworden ist: Es braucht kein Material mehr, nur noch den entschlüsselten genetischen Code, um sie kommerziell zu verwerten. Damit fliesst auch kein Geld mehr in die Herkunftsländer.

Auch sonst ist die COP eng mit Menschenrechtsfragen verknüpft: Bis 2030 sollen dreissig Prozent der Land- und Meeresflächen unter Schutz gestellt werden («30 bis 30»). «Schutz» heisst im Süden aber oft: Safaritourist:innen sind willkommen, lokale Bauern und Hirtinnen nicht. Dagegen bekräftigen indigene Vertreter:innen, dass es ihnen seit Jahrtausenden gelingt, ihre Gebiete zu nutzen, ohne sie zu zerstören.

Dass nicht dreissig Prozent der Welt zu «Wildnis» werden können, ist wohl allen klar. Trotzdem verweist die Schutzgebietsdiskussion auf eine grosse ungeklärte Frage des Naturschutzes. Die einen, vor allem aus Nord- und Südamerika, setzen auf Hightech- und Gentechlandwirtschaft, um in einem Teil der Welt möglichst viele Kalorien zu produzieren – damit sie den anderen Teil unter absoluten Schutz stellen können. Die anderen, oft aus Europa und dem Globalen Süden, betonen, dass eine angepasste menschliche Nutzung die Biodiversität sogar fördern kann. Exemplarisch für diese Richtung steht die agrarökologische Bewegung. Sie möchte die Welt nicht zweiteilen, sondern möglichst vielfältige Agrarlandschaften schaffen, die die Menschen ernähren, aber auch Wildpflanzen und -tieren Raum geben. Ob im Abschlussdokument von Montreal beim Thema Landwirtschaft das Wort «Agrarökologie» stehen wird oder nur etwas Unverbindliches über «Nachhaltigkeit», das jedes Land anders interpretieren kann – auch darüber wird gestritten.

Die Schweiz gibt sich in Montreal ambitioniert. Sie unterstützt das «30 bis 30»-Ziel und «eine Ausrichtung der Finanzströme auf nicht umweltschädliche Investitionen». Das ist erfreulich, hinterlässt aber einen Nachgeschmack. Denn der Bund erfüllt das Geforderte selbst nicht, bei den Finanzströmen ist bislang gar nichts passiert. Dabei hätte er doch nach dem Volksmehr zur Konzernverantwortungsinitiative eine Steilvorlage gehabt, um eine griffige Regelung auszuarbeiten. Doch in Bern gelten Biodiversitäts- und Klimaschutz immer noch als Anliegen des politisch schwachen Bundesamts für Umwelt. Als beträfen diese Themen nicht die ganze Politik, die ganze Wirtschaft, das ganze Leben. Mit Umweltminister Albert Rösti dürfte sich daran leider kaum etwas ändern.