Berlinale: Chatrian abgesägt, die Filmwelt protestiert

Der Protestbrief liest sich wie ein veritables Who is who der Filmwelt, von Hollywood bis in die abseitigsten Nischen des Kinos. Martin Scorsese und Tilda Swinton haben unterschrieben, auch Béla Tarr und Kristen Stewart, Ulrike Ottinger und M. Night Shyamalan (Letzterer, wohl versehentlich, gleich doppeltch etliche Namen aus der Schweiz sind dabei, etwa Cyril Schäublin und Andrea Štaka. Weit über 400 Filmschaffende fordern die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) in dem offenen Brief dazu auf, den Vertrag mit Carlo Chatrian als künstlerischem Leiter der Berlinale zu verlängern. Chatrian war 2018 nach sechs Jahren in Locarno nach Berlin berufen und jetzt indirekt abserviert worden.

Was war passiert? Von Spardruck bei der Berlinale war schon länger die Rede. Im Juli teilte das Festival mit, dass deshalb gleich zwei Nebensektionen gestrichen würden, darunter die «Perspektive Deutsches Kino». Letzte Woche dann kündigte der Aufsichtsrat der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin eine neue Leitungsstruktur für die Filmfestspiele an. Nach fünf Jahren mit einer Doppelspitze aus kaufmännischer und künstlerischer Leitung soll die Berlinale ab 2024 wieder von einer Einzelperson geführt werden, wie zuvor unter Dieter Kosslick. Die Begründung des Aufsichtsrats unter dem Vorsitz von Claudia Roth war eins dieser typischen Mysterien politischer Kommunikation: Man verwies auf die «Herausforderungen, vor denen die Berlinale in den kommenden Jahren» stehe. Offenbar sind diese Herausforderungen so riesig, dass nur eine einzelne Führungsfigur die richtig anpacken kann.

Und offenbar zählte man Chatrian nicht zum Kreis derer, denen man das zutrauen würde. In einem ersten Statement hatte dieser noch angedeutet, dass er dafür durchaus zu haben wäre. Doch die Gespräche über seine neue Rolle waren anscheinend nicht so konstruktiv, wie er sich das erhofft hatte. Zwei Tage später gab Chatrian bekannt, dass nach dem nächsten Festival auch für ihn Schluss sei. (Die kaufmännische Leiterin, Mariette Rissenbeek, hatte bereits im März ihren Rücktritt per 2024 angekündigt.)

Da hat die Berlinale nach dem leutseligen Intendanten Kosslick endlich mal einen ausgewiesenen Cinephilen für die künstlerische Leitung gefunden – und jetzt wird diesem von manchen Leuten genau das angekreidet: «Chatrian sass erkennbar lieber im Kino als beim Cappuccino mit Filmbossen», kommentierte die «Süddeutsche Zeitung». Und wenn schon: In den letzten Jahren hat die Berlinale deutlich an internationaler Ausstrahlung gewonnen. Sofern man nicht lieber beim Cappuccino sass, hätte man das auch schon vor dem Protestbrief merken können.