EU-Umweltschutz: Gewesslers Gewissensfrage

Leonore Gewessler hatte das letzte Wort. Mit ihrer Stimme verhalf die österreichische Klimaschutzministerin am Montag dem lange umstrittenen EU-Renaturierungsgesetz zu einer Mehrheit. Bis dato wollte sich Österreich der Stimme enthalten. Doch bei der Abstimmung in Luxemburg entschied sich Gewessler für das Mandat, das die österreichischen Grünen von den Wähler:innen bekommen hatten – und ausdrücklich gegen den Willen der konservativen ÖVP, mit der zusammen die Grünen in Wien regieren.

Dadurch kommt das Gesetz, das im EU-Parlament bereits im Februar angenommen wurde, nun auch im Rat der Umweltminister:innen knapp auf die nötige «qualifizierte Mehrheit»: die Zustimmung der Regierungen von mindestens fünfzehn Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. In diesem Fall sind es zwanzig Staaten, aber gerade mal 66 Prozent der Bevölkerung. Damit verpflichten sich die EU-Mitglieder, bis 2030 ein Fünftel der beschädigten Naturgebiete in ihrem Land wiederherzustellen. Bis 2050 sollen es alle gefährdeten Ökosysteme sein.

Aus nachhaltiger Sicht gibt es kein vernünftiges Argument gegen das Gesetz, das Teil des European Green Deal ist. Durch den monatelangen Widerstand von Agrarverbänden und konservativen EU-Abgeordneten wurde es dennoch zum Symbol für die oft bemühte, angebliche Klimamüdigkeit in europäischen Gesellschaften und für den Rückhalt, den konservative und rechte Kräfte im EU-Parlament diesem Ressentiment gewähren. Der Anfangsesprit des Green Deal hat sich auch in der EU-Kommission gelegt.

Angesichts dieser sich ändernden Vorzeichen hat Leonore Gewessler die letzte Chance genutzt, das Renaturierungsgesetz über die Ziellinie zu schleppen. Dass sie damit eine Regierungskrise in Österreich in Kauf nimmt, war ein kalkuliertes Risiko. Dass die Konservativen ihr nun vorwerfen, ihre «grüne Ideologie» über die Interessen von Regierung und Bevölkerung zu stellen, beweist indes, dass die zentrale Botschaft dieses Gesetzes noch längst nicht begriffen wurde: Umwelt- und Klimaschutz ist kein Luxus oder politisch nachrangiges Hobby, sondern überlebenswichtig.