Niemandsland
Das Ausschaffungsgefängnis ist ein Ort. Man kann dort hingehen.
Der Spaziergang von der Tramstation Rümlang Bäuler führt dem Flüsschen Glatt entlang. Rechts liegen Kläranlage und Schiessstand, links zerschneiden Autobahnzubringer die Landschaft, die mal schön gewesen ist. Ein Wäldchen mit Bärlauch, dann ist das Gefängnis in Sichtweite. Von einem hohen Zaun umgeben, thront es hinter dem Weizenfeld. Ein Flugzeug ist gerade gestartet und dröhnt direkt über das graue Gebäude hinweg. Die Gitterstäbe vor den Fenstern sind spitalgrün.
Aus dem vierten Stock ruft einer: «Comment ça va?», ein anderer «Scheissmigrationsamt», aus dem dritten Stock ruft einer: «Hallo, Schätzeli».
Das Personal des Gefängnisses ist freundlich. Sie erkennen einige der Freiwilligen, die regelmässig Besuche machen, schon von weitem. «Grüezi, Frau Gerig», tönt es durch die Gegensprechanlage, und schon öffnet sich das grosse Tor.
Schmuck und Gürtel ablegen, alles einschliessen, ID abgeben, durch den Metalldetektor und zwei Türen gehen. Im Besucherraum hängen Pinguine, ihre Augen sind halbe rosarote Kugeln mit kleineren Kügelchen drauf. An der Wand hängt das Schild «No Sex». Auf den Tischen Plastikgläser und PET-Wasserflaschen. Der Besuchte wurde heruntergeführt und betritt den Besuchsraum.
Das Ausschaffungsgefängnis heisst nicht so, es will kein Gefängnis sein. Es heisst «Zentrum für ausländerrechtliche Administrativhaft ZAA». Der Ort will überhaupt nicht sein.
Ich machte hier jahrelang viele Besuche. Zum Beispiel bei Laminie, der ein liebes Gesicht und kurz geschorene Haare hatte, der Bart war lang. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann liess er ihn seit dem Eintritt ins ZAA wachsen; so merke er, dass die Zeit vergehe. Also sah er wahrscheinlich nicht aus, wie er eigentlich aussah, und ich sass da und war mir selbst fremd. Ich hörte einer Person zu, deren Geschichte sich mit meiner in keinem Punkt überschneidet. Und er, der sich seit Jahren in mittelloser Freiheit durch Europa schlug, war hier eingesperrt und wusste dazu nur einen Satz: «I am not a criminal.»
Er wünschte sich, dass ich wiederkomme, er könne dann nachts besser schlafen.
Zurück an der Tramstation war es wie Aufwachen aus Niemandsland.
Ausschaffungen existieren vor allem in den Köpfen. Dort, wo sie greifbar werden, denkt sich niemand hin. Sie sagen, es brauche Ausschaffungen, damit sie an das Asylsystem glauben können. (Immerhin, daran möchten sie noch glauben.) Die Logik: Wenn Asylsuchende «einfach» bleiben könnten, obwohl sie nicht dürfen, dann wird der ganze Asylprozess mit seinem positiven oder negativen Resultat zur Farce. Ein ablehnender Asylentscheid muss Konsequenzen haben – Rechtlosigkeit reicht anscheinend nicht.
Tatsache ist, dass die Menschen in Bewegung sind und in Bewegung bleiben werden, und während ein Ausgeschaffter im Herkunftsland landet, machen sich dort andere Leute auf den Weg. Nicht wenige, die ausgeschafft werden, verlassen den Ort, an den sie geflogen wurden, auch schnell wieder.
Und so steht dieser massive Bau da – und die, die ihn nie sehen, meinen, ihn zu brauchen.
Immer freitags lesen Sie auf woz.ch einen Text unserer Gastkolumnistin Hanna Gerig. Gerig ist seit acht Jahren Koleiterin des Vereins Solinetz, der sich für geflüchtete Menschen im Raum Zürich einsetzt. Ihre Arbeit gefällt ihr sehr. Und doch fragt sie sich manchmal, was sie da eigentlich tut; warum sie und warum das.