Die gute Nachricht zuerst: Donald Trump wirkte in der TV-Debatte gegen Kamala Harris gestern Abend so «mad», dass es ihm im laufenden Wahlkampf wohl eher schaden als nützen könnte. Dieser Satz muss so vorsichtig formuliert werden, weil Trump seine politische Karriere der «madness» mit zu verdanken hat. Dreiste Lügen, krude Verschwörungstheorien, schräge Skandale, trister Revanchismus – all das gehört bei ihm ja schon immer dazu. Die Frage bleibt deshalb, wie es bei den Wähler:innen ankommt.
Knapp zwei Stunden lang dauerte das vom Sender ABC übertragene Duell, das in Philadelphia stattfand. Die Moderatorin und der Moderator gaben sich dabei Mühe, die grössten Lügen Trumps zu korrigieren. Der Expräsident raunte unter anderem von Einwander:innen, die in Ohio Hunde ässen; davon, dass Harris «illegale Migrant:innen in Gefängnissen zu Transgender operieren will»; und dass die Demokrat:innen Abtreibungen nach neun Monaten Schwangerschaft erlauben wollten – nichts davon ist wahr. Der Sender CNN zählte bei Trump mindestens 33 falsche Aussagen. Wichtiger allerdings scheint, dass gemäss einer ersten Umfrage direkt nach der Debatte 63 Prozent der Zuschauenden angaben, Harris als Siegerin des Abends zu sehen. Lügen sind in der Politik ja meist nur dann ein Problem, wenn sie, nun ja, ein Problem sind.
Seit der amtierende US-Präsident Joe Biden im Juli seine Kandidatur zurückgezogen und Kamala Harris dafür übernommen hat, erscheint Trump tatsächlich etwas überfordert. Er reagiert mehr, als dass er agiert, wirkt schwach. Und wenn es eine Sache gibt, die nicht zu Trumps Strategie und Selbstverständnis passt, dann ist es Schwäche. Harris parierte Trump an vielen Stellen der Debatte gekonnt, köderte ihn etwa mit der Aussage, dass Leute bei seinen Wahlkampfveranstaltungen frühzeitig gingen, was Trump in inkohärentes Geschwafel abdriften liess. Harris sagte, dass Trumps Politik vor allem den Reichen nütze und die rechtsextreme Politik der Republikanischen Partei, etwa beim Abtreibungsrecht, dem Mehrheitswillen der Wähler:innen entgegenstehe: gute, wichtige Punkte. Je wirrer Trump sich zeigte und je sachlicher Harris antwortete, desto besser lief es.
Hier nun kommen aber noch zwei schlechte Nachrichten. Erstens ist das Rennen weiterhin eng. In landesweiten Umfragen liegen Harris und Trump dicht beieinander, auch die Swing States sind hart umkämpft. Allein aus diesem Grund verbietet sich linksliberale Selbstgefälligkeit. Zweitens sollte es einem aus progressiver Sicht Sorgen machen, wie wenig Harris politisch eigentlich anbietet. Sie wolle eine «Wirtschaft der Möglichkeiten» schaffen, sagte sie – aber was das, abgesehen von ein paar finanziellen Zuschüssen, bedeuten soll, blieb fraglich. Bei vielen Themen hingegen wurde deutlich, wie rechts der ganze Diskurs steht. Harris versprach schärfere Kontrollen der Aussengrenzen und prahlte, dass sie sich für mehr Gasfracking eingesetzt habe.
In zwei Stunden kam keine einzige auch nur irgendwie visionäre Reformidee. Die Klimakatastrophe wurde ignoriert, als gäbe es kein Morgen. Immerhin: Sängerin Taylor Swift sprach am Ende des Abends ihre Unterstützung für Harris aus. Man nimmt in diesem desillusionierenden Wahlkampf alles!
Den Podcast «What's left?», den US-Korrespondent Lukas Hermsmeier moderiert, gibts hier.