Marxismus im Bundeshaus

Vermutlich hat Mike Egger nie Marx gelesen. Aber ganz Unrecht hat der SVP-Nationalrat nicht, wenn er die Massnahme als «Lex Karl Marx» bezeichnet: Der Nationalrat hat sich mit 108 zu 84 Stimmen für Überbrückungshilfen zugunsten der Stahl- und Aluminiumindustrie ausgesprochen.

Aber trotz des sich abzeichnenden Erfolgs – die Zustimmung des Ständerats zur Vorlage steht noch aus – wirft die Rettung der Industriebetriebe auch Fragen auf. Zum Beispiel: Hätte die drohende Schliessung von Stahl Gerlafingen auch so viel Solidarität ausgelöst, wenn es dabei nicht um Stahl gegangen wäre?

Hätte man den protestierenden Arbeiter:innen auch geholfen, wenn sie sich weniger gut als Projektionsfläche eignen würden; wenn sie nicht als romantisierter Idealtypus des harten Arbeiters, der mit Schweissperlen auf der Stirn den Schmelztiegel als Herzkammer einer ersehnten, suffizienteren Gesellschaft am Lodern hält, herhalten müssten?

Kaum, wie der recht sang- und klanglose Untergang des Glasrecyclingwerks Vetropack in Saint-Prex vor wenigen Monaten zeigt. Altglas ist irgendwie weniger interessant.

Die noch wichtigere Frage ist aber: Ist es wirklich wünschenswert, dass der Staat Konzernen – im Fall von Gerlafingen der italienischen Beltrame Group – derart unter die Arme greift? Immerhin soll die Hilfe an vergleichsweise strenge Auflagen geknüpft werden. Standortgarantien, Transparenzvorschriften, ein Dividendenverbot – man kann das im Hinterkopf behalten: Die nächste Bankenrettung kommt bestimmt.

Trotzdem hat die Subventionierung auch einen etwas schalen Nachgeschmack. Wenn ein politischer Wille besteht, einen nicht rentablen Industriezweig zu erhalten, weil er nämlich Bedürfnisse deckt, die gedeckt werden müssen: Wieso muss er dann trotzdem unter Kontrolle irgendwelcher Unternehmer:innen bleiben, die es offenbar gar nicht braucht und die davon auch nicht mehr profitieren?

Müsste er nicht. Ein Schritt in die richtige Richtung ist die «Lex Karl Marx» trotzdem. Und deshalb ein Erfolg: der organisierten Arbeiter:innen in Gerlafingen und Emmenbrücke, die sich gegen ihre Entlassung wehren; der Ratslinken, die der rechten Mehrheit ein erstaunliches Zugeständnis abringt; und der Verfechter:innen einer aktiveren Industriepolitik, die nicht nur einen scheiternden Markt, sondern auch reale Interessen bedient.