Der neue Deutsche Bundestag

Diesen Artikel hören (4:13)
-15
+15
-15
/
+15

Seit der Wahl zum neuen Deutschen Bundestag am 23. Februar ist so viel geschehen, dass man fast glauben konnte, es gebe bereits eine neue Regierung. Doch diese ist noch nicht gebildet, SPD und CDU verhandeln noch. Heute kamen aber immerhin die vor dreissig Tagen gewählten Abgeordneten zum ersten Mal zusammen.

Bei der Entscheidung über die finanzielle Arbeitsgrundlage der künftigen Regierung sind sie indes bereits übergangen worden: Der Bundeskanzler in spe, Friedrich Merz (CDU), und die Abgeordneten des alten Bundestags von CDU, SPD und Grünen hatten in der vergangenen Woche dafür die Verfassung geändert. Sie haben die «Schuldenbremse», die Staatsausgaben streng begrenzt, reformiert – allerdings nur partiell, um die Finanzierung grenzenloser Aufrüstung sowie ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Infrastruktur zu ermöglichen.

Da für Grundgesetzänderungen eine Zweidrittelmehrheit nötig ist, wurde die Abstimmung noch vor Zusammentreten des neuen Bundestags durchgepeitscht – rechtlich zulässig, politisch fragwürdig. Denn mit den bereits gewählten neuen Abgeordneten hätte die Reform wohl keine Mehrheit mehr gehabt: Die Linkspartei ebenso wie die extrem rechte AfD hätten dem Vorhaben – aus ganz unterschiedlichen Gründen – so nicht zugestimmt.

Beide Parteien sind mit deutlich mehr Abgeordneten im neuen Bundestag vertreten als zuvor. Die AfD hat nun 152 statt zuletzt 76 Sitze und ist nach der CDU zweitstärkste Fraktion. Unter ihren Abgeordneten sind Figuren wie Maximilian Krah, dessen SS-Verharmlosung sogar Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National zu weit ging, und andere, die gern und offen mit Bezügen zum Nationalsozialismus kokettieren. Diese Truppe hätte nach den Gepflogenheiten des deutschen Politikbetriebs eigentlich Anspruch auf den Vorsitz mehrerer Bundestagsausschüsse und auf Mitarbeit in sensiblen Gremien, etwa demjenigen zur Kontrolle der Geheimdienste. Wie die anderen Parteien mit den gestärkten Rechtsextremen umgehen, ist eine zentrale Frage der neuen Legislatur.

Auch bei der Linkspartei ist einiges neu: 2021 war sie nur aufgrund einer Besonderheit im deutschen Wahlrecht noch mit 39 Abgeordneten ins Parlament eingezogen, obwohl sie damals unter der Fünf-Prozent-Hürde landete. Zehn der linken Fraktionsmitglieder kehrten der Partei Ende 2023 den Rücken und gründeten das sozialkonservative Bündnis Sahra Wagenknecht. Dieses scheiterte nun knapp an der Sperrklausel und ist, ebenso wie die marktradikale FDP, nicht mehr im Parlament vertreten.

Die schon totgesagte Linkspartei errang dagegen mit 8,8 Prozent ein überraschend gutes Ergebnis und hat 64 Abgeordnete – von denen viele nie mit einem Einzug gerechnet haben. Das hat den interessanten Nebeneffekt, dass viele der neuen linken Abgeordneten keine Berufspolitiker:innen sind. Die Linke schickt Sozialarbeiter:innen, Pflegekräfte, Studierende, Azubis und Industriearbeiter:innen ins Parlament – erstmalig werden mehrere Abgeordnete der Linken ausserdem ihre Abgeordnetenbezüge auf ein Durchschnittsgehalt begrenzen, darunter die neu in den Bundestag gewählten Parteivorsitzenden Jan van Aken und Ines Schwerdtner.

Sie alle werden sich schnell einarbeiten müssen. Die deutlich nach rechts verschobene Balance im Deutschen Bundestag, der Rüstungsrausch der bürgerlichen Parteien und die schon absehbaren neuen Attacken auf Migrant:innen, Erwerbslose und soziale Rechte machen eine funktionierende linke Opposition bitter nötig.