US-Wahlen: Ein Mann für das andere Amerika

Als demokratische Alternative zu George Bush wollen die US-BürgerInnen John Kerry – mit Howard Deans Programm.

Howard Dean sei ein äusserst attraktiver Typ zum Flirten, aber kein Mann zum Heiraten, warnte ein Radiohörer Anfang Jahr. Die ersten Runden im Kampf um die demokratische Präsidentschaftskandidatur geben ihm und dem sexistischen Bonmot Recht. Je näher die Verlobung rückt, das heisst die Wahl desjenigen Demokraten, der im November gegen den amtierenden Präsidenten George Bush antritt, desto weniger werden die Avancen des leidenschaftlichen Howard Dean geschätzt. Umso mehr wird dagegen von der nötigen Respektabilität gesprochen und von präsidialem Format. Ganz so, als wäre das je (siehe Bush) eine unabdingbare Qualität für den Einzug ins Weisse Haus gewesen.

Doch was dem Patriarchat die Aufteilung der Frauen in Huren und Heilige, ist dem US-amerikanischen Politsystem die strikte Unterscheidung zwischen parlamentarischer und ausserparlamentarischer Politik, zwischen bloss amateurhafter sozialer Bewegung und Berufspolitik, zwischen gemeinem Volk und höchstem Führer – auch wenn jedes Kind in der Schule lernt, es könne später einmal Präsident werden. Der Graben um die Hochburg der offiziellen Politik in Washington ist weit und tief. Die Art und Weise, wie gewählt wird, gibt neuen Parteien keine Chance. Linke KritikerInnen bezeichneten deshalb die vorangegangene Machtteilung zwischen Demokraten und Republikanern, etwa in der zentristischen Clinton-Regierung, als politische Monokultur. Doch muss heute selbst ein so radikaler Sozialwissenschaftler wie Paul Street zugeben, dass zwischen «den beiden Flügeln der US-Handelskammer-Partei» ein erheblicher Unterschied besteht. Schliesslich hat es die Bush-Regierung fertig gebracht, bis auf ein paar fehlende konservative Richter-Ernennungen, den Einparteienstaat aufzubauen. Street fordert, dass diesmal auch Linke, Radikale und Grüne demokratisch wählen sollten; und zwar nicht bloss demokratisch, sondern pragmatisch beziehungsweise taktisch. Er selbst gibt seine Stimme nicht dem linkspopulistischsten oder feurigsten oder Irakkrieg-kritischsten, sondern dem «wählbarsten» Demokraten.

«Wählbarkeit» (electability) eines Kandidaten ist das grosse politische Modewort der Saison und heisst doch nichts anderes als: Der Kerl hat eine Chance gegen Bush. Obwohl gemäss aktuellen Umfragen eine knappe Mehrheit der US-Bevölkerung sich entschieden gegen eine Wiederwahl von George Bush ausspricht (noch bevor das neueste Rekorddefizit bekannt gegeben wurde) und John Kerry bevorzugt, ist das Rennen zumindest noch bis zum 2. März offen; an diesem «Superdienstag» wird in zehn Staaten rund ein Viertel der Delegiertenstimmen vergeben. Doch hat sich das Feld der «Wählbaren» bereits erheblich verkleinert. Der dunkelhäutige Al Sharpton wusste von Anfang an, dass sein Traum von der sozialen Gerechtigkeit weiterhin ein Traum bleiben muss; Minderheiten sowie Frauen sind in den USA auch heute noch chancenlos. Der als Sozialist etikettierte Dennis Kucinich nutzt die Vorwahlen ebenfalls ungeniert und illusionslos als Plattform für seine Grundanliegen: eine allgemeine Krankenversicherung und eine kostenlose Ausbildung für alle AmerikanerInnen und eine Rückkehr in die «internationale Gemeinschaft». Dass der rechtsdemokratische Joseph Lieberman bereits aufgibt, ist hingegen etwas überraschend, galt er doch im Herbst noch als der wählbarste der Kandidaten, das Lieblingskind der Partei, mehrheitsfähig als Vertreter des viel beschworenen moderaten Zentrums der USA. Doch die rechtsextreme Regierung Bush hat auch diese Mitte aufgerieben. Sie polarisiert, betreibt Klassenkampf von oben und teilt die Bevölkerung in zwei Amerika. Das eine Amerika – die Reichen, die verunsicherten Armen und die unverbesserlichen SuperpatriotInnen, die Stupid White Men – will noch mehr Bush, mehr Herrschaft und nationalen Triumph. Das zweite Amerika, das der lohnabhängigen BürgerInnen – die Mittelklasse, die Mehrheit der AfroamerikanerInnen, der Latinos und der Frauen –, bangt um Bürgerrechte, Jobs, Schulen und die Gesundheitsversorgung und will eine deutliche demokratische Alternative, keinen Bush light. Ausserhalb seiner engeren, traditionell konservativen Heimat hat darum auch der neudemokratische Wesley Clark Mühe, sich klar zu profilieren: Einerseits wird er vom Filmemacher Michael Moore enthusiastisch als «Kriegsgegner» eingeführt, andererseits war er jahrzehntelang Krieg führender General und befürwortet noch heute den Einsatz von Streubomben.

In Iowa und New Hampshire haben die WählerInnen klar unterschieden zwischen dem Kandidaten, der ihnen thematisch am ehesten entspricht (Howard Dean), und demjenigen, der am ehesten gewinnen wird (John Kerry). Das Duell zwischen John Edwards und Kerry in der neuesten Wahlrunde folgt einem ähnlichen Muster: Edwards kümmere sich um die Leute, sagten die WählerInnen, Kerry sei der Erfolgstyp. «The winner takes all»: Der Sieger nimmt alles, nämlich alle Stimmen eines Einzelstaates, in dem er die Mehrheit hat. Das gilt bei der eigentlichen Präsidentenwahl im November nicht aber in den jetzigen Vorwahlen. Diese Dynamik spielt jedoch bei den Wahlkampfspenden: Als Howard Dean auf dem Vormarsch war, flossen ihm die Spenden reichlich zu, nicht bloss diejenigen der berühmten kleinen InternetnutzerInnen, sondern auch gewichtigere Sponsoren drängten an seinen Tisch. Nach den ersten Niederlagen war aus Deans Geldstrom ein Rinnsal geworden; jetzt stiegen John Kerry und der überraschend erfolgreiche John Edwards in der Gunst des Publikums. Eine Zeitung vergleicht das Auf und Ab der Vorwahlen mit den Schwankungen an der Börse.

Ein Gewinner der Wahlen 2004 steht jedoch bereits fest: die WählerInnen selbst. New Hampshire verzeichnete einen Rekordaufmarsch an den Urnen, in Iowa nahmen fast doppelt so viele Leute am Wahlgang teil wie vor vier Jahren. Es brauche nicht bloss einen Wechsel der politischen Führung, sondern eine Änderung der Politik selbst, hatte Howard Dean im Herbst als Erster gesagt und damit eine populistische Bewegung initiiert oder wiederbelebt, die auch ohne ihn diesen Wahlgang weiterhin beeinflussen wird. Wer immer im November gegen Bush antritt, wird nicht auf ein zentristisches Programm inklusive Befürwortung des Krieges im Irak zurückgreifen können - wenn das zweite Amerika aktiv bleibt.

In Parteigremien, an Wahlveranstaltungen, in wortreichen Essays und endlosen Fernsehdebatten wird weiterhin ausgeklügelt, wie liberal einer sein darf und wie moderat er sein muss, um als demokratischer Präsidentschaftskandidat eine Chance zu haben. Noten werden verteilt, so und wieder anders, je nach Tagesform des Kandidaten. Der vorläufige Gewinner John Kerry zum Beispiel gewinnt an Profil, wenn man den Wortlaut seiner klar Vietnamkrieg-kritischen Rede vor der aussenpolitischen Kommission des US-Senats 1971 liest. Andererseits hat der gleiche Kerry für den Krieg im Irak gestimmt und kokettiert dauernd mit seinen militärischen Orden, die er doch als Kriegsgegner mal protestierend in den Abfalleimer geschmissen hat. Und dann plaudert die «New York Times» auch noch aus, dass John Kerry nicht bloss zur selben Zeit wie George Bush die Eliteuniversität Yale besuchte, sondern dort ebenso wie Bush Mitglied von Yales exklusivstem Geheimbund Skulls and Bones (Schädel und Gebeine) war. Ist das wichtig? Bloss Tratsch? Eine tolle Jugenderinnerung? Oder der Hinweis auf die Verschworenheit der Politiker, die Kungelei von Söhnen reicher Väter? Und hat Kerry deswegen mehr oder weniger Chancen gegen Bush?

Diese Art denken und abwägen und lavieren sei grundsätzlich falsch, meint der Ökonomieprofessor und frühere Arbeitsminister Robert Reich. «Die eigentliche Auseinandersetzung findet zwischen denen statt, die bloss das Weisse Haus zurückerobern, und denen, die auch eine neue politische Bewegung aufbauen wollen - eine, die es mit der konservativen Bewegung aufnehmen kann, welche den Republikanern ihre dominierende Rolle in der amerikanischen Politik verschafft hat.» Reich betont, dass die republikanische Macht neben der Wirtschaft und dem grossen Geld noch eine andere Seite hat: Eine breite, loyale, konservative Basis, die seit Jahrzehnten von der Republikanischen Partei mit Versatzstücken des Rechtspopulismus - Familienwerte vor allem, aber auch Law und Order sowie fahnenschwenkender Patriotismus - bedient wird; und zwar kontinuierlich, jahraus, jahrein, in beharrlicher Kleinarbeit. Diesbezüglich, schreibt Reich, könnten die Demokraten einiges dazulernen, besonders diejenigen Leute in der Parteiführung, die meinten, eine kleine Kampagne alle vier Jahre sei mehr als genug Kontakt mit dem Volk.

Diese Nachlässigkeit betrifft besonders das arme und schwarze Volk: Mit abnehmender Lohnsumme, lautet das gängige Argument der Parteistrategen, nimmt auch die Wahlbeteiligung proportional ab, also lohnt sich der Wahlkampf in armen Gegenden kaum. Dabei wären diese bisher nicht registrierten WählerInnen ein grosses Potenzial für die Demokratische Partei. Und bei den afroamerikanischen Stimmen gehen die Demokraten zu oft davon aus, dass ihnen diese Basis traditionsgemäss ohne grosse Sonderanstrengung und Gegenleistung sicher ist. «Ich will die schwarzen Stimmen nicht kaufen; bloss für einen Tag borgen», hatte der weisse Vorgänger des heutigen demokratischen Parteipräsidenten von South Carolina vor bald zwanzig Jahren gesagt, bloss ein dummes Witzchen, wie er meint. Doch die «schwarzen Stimmen» haben es bis heute nicht vergessen.

Angesichts von Bushs autokratischer Regierung und dank Howard Deans frühzeitiger, engagierter und linkspopulistischen Gegenoffensive - die als wichtigste Säulen eine solide Sozial- und Steuerpolitik sowie eine klare Ablehnung des Krieges im Irak enthält - sollte es der demokratischen Parteispitze eigentlich leicht fallen, von der Bearbeitung von blossem Stimmvieh auf die Zusammenarbeit mit einer demokratischen Basisbewegung umzuschalten. Falls dieser Auftrieb bis zum Spätherbst nicht nur durchgehalten, sondern noch beschleunigt wird, liegt ein Regimewechsel in den USA drin. Auch wenn der neue Präsident nicht Howard Dean heissen sollte, wird er für das zweite, das andere Amerika stehen.