Guy Barrier Der Grossbürger und die jungen Frauen

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Polizeifoto von Guy Barrier, aufgenommen am 22. August 1972
«Ich sollte zum Manager abgerichtet werden»: Polizeifoto von Guy Barrier, aufgenommen am 22. August 1972.  Foto: Stadtarchiv Zürich, V.E.с.64.4.5.

Guy Barrier liess niemanden kalt. Die einen hassten den Kopf der Roten Steine, andere fühlten sich von ihm angezogen. Er nahm sich in Diskussionen meist sofort Raum, konnte überzeugen, begeistern, aber auch einschüchtern und verletzen. Er soff und fixte Heroin, liess sich mit vielen jungen Frauen ein. Er hörte Jazz, ätzte gegen linke Spiesser:innen, begeisterte sich für Outlaws, Rocker und die Black Panthers.

Seine Herkunft aus dem Zürcher Grossbürgertum an der Goldküste hat Barrier nie verhehlt. «Ich komme aus grosskapitalistischen Verhältnissen und sollte zum Manager abgerichtet werden», sagte er einmal der Zeitung «Die Tat». 1942 geboren, wuchs er in Erlenbach «in einem goldenen Käfig» auf, wie er sagte. Er absolvierte private Mittelschulen in Zürich, Davos und Lausanne und studierte an der Handelshochschule St. Gallen. Er lernte seine Frau Anita in der Westschweiz kennen, machte eine ausgedehnte Asienreise und knüpfte danach Kontakte zur neuen Linken in Zürich. Doch die Student:innen mit ihren Theorien widerten ihn an. Er begeisterte sich für den Rockerboss «Tinu» von den Hells Angels und die Drogensüchtigen auf der Gasse. Barrier wurde zum «Führer der Bunkerjugend», wie es in den Medien hiess, und war bei den Auseinandersetzungen mit der Polizei zuvorderst mit dabei.

Im Nachgang zum 1. Mai 1971 kam er wegen Gewalt gegen Polizeibeamte und Landfriedensbruch für zwei Monate in Untersuchungshaft. Gleichzeitig lief gegen ihn eine Anklage wegen «Unzucht» mit der minderjährigen Beatrice (Name geändert). Kopien der Briefe, die er aus der Haft schrieb, finden sich im Staatsarchiv. Sie geben Auskunft über Barriers Gefühlswelt. So war er anfangs von seinen Mitgefangenen begeistert. Er lobte die ­«Solidarität des Lumpenproletariats». Sie sei «unbeschreiblich für mich als Grossbürger». Als «gekränktes Milchbüblein» und «beleidigter Märtyrer» sei er jetzt «einer unter andern». Vor den Mitgefangenen prahlte er, dass seine Frau Anita für ihn LSD in den Knast reingeschmuggelt habe. Doch einer verriet ihn. Daraufhin nahm die Bezirksanwaltschaft Anita Barrier fest und steckte sie ebenfalls in Untersuchungshaft. Er sei ein «unverbesserlicher Bluffer», der immer wieder den falschen Leuten vertraue, schrieb sie ihm. Und: «Du musst schlauer und raffinierter werden, sonst bleibst du eine ideale Zielscheibe für die Pigs.»

Barrier schrieb derweil lange Briefe an seine «Chicks», junge Frauen, die in ihn verliebt waren. Er verstand nicht, weshalb sie so an ihm hingen. «Viel an mir war doch Show, Überheblichkeit, Grausamkeit», schrieb er Beatrice. Einer anderen jungen Frau bekannte er: «Meine souveränen selbstsicheren Touren, meine Verführerkünste, meine Liebesbeteuerungen, all das ist verlogener Wahn, weit entfernt, der Realität meiner Person zu entsprechen. Wie vielen Mädchen habe ich zu verstehen gegeben, wenn ich gesagt habe, ich liebe sie, und im Moment sogar daran geglaubt! Und wie achtlos ging ich am nächsten Tag an ihnen vorüber, ja weidete mich sogar an ihrem Schmerz und – wie verteufelt pervers machte ich sogar aus ihrem Schmerz eine ‹revolutionäre Theorie›, indem ich ihn als nützlich und notwendig pries.»

Letztlich kam Barrier dank einer Kaution von 20 000 Franken aus der Untersuchungshaft frei, bezahlt von seinem Vater. Im Herbst 1971 wurde er wegen Unzucht mit einer Minderjährigen vom Bezirksgericht zu neun Monaten unbedingt verurteilt. Er focht das Urteil an. Vor Obergericht gab er das Verhältnis mit Beatrice zu und zeigte sich reuig: Politisch wolle er sich nur noch legal betätigen. Er erhielt einen bedingten Strafvollzug zugesprochen.

Barrier war auch in der Zeit der Roten Steine der Antreiber, Ideengeber und Frauenheld. Er intrigierte gegen Zweierbeziehungen und stauchte zusammen, wer ihm in den Weg kam. Auch in der Achtzigerbewegung spielte er eine bedeutende Rolle. So setzte er sich für den umstrittenen Drogenraum im Autonomen Jugendzentrum ein, wo Heroinabhängige von der Polizei unbehelligt fixen konnten. Das trieb auch viele Dealer ins AJZ und trug mit zu dessen Niedergang bei. Später engagierte er sich im Nicaragua-El-Salvador-Komitee und war Teil einer Solidaritätsbrigade in Nicaragua. Am 23. Juli 1992 starb Barrier an den Folgen einer HIV-Infektion.

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