WOZ recherchiert I: Nach den Plakaten in die Pilze
Christian Rüegg ist Afficheur für die Allgemeine Plakatgesellschaft – ebenso gut hätte er Hockeystar werden können.

WOZ: Christian Rüegg, Sie sind Plakatanbringer bei der Allgemeinen Plakatgesellschaft (APG). Wie viele Plakate schaffen Sie eigentlich an einem Tag?
Christian Rüegg: Wenn es viel zu kleben gibt, komme ich auf rund 150 Plakate an einem Tag – aufs Jahr hochgerechnet sind das mehr als 20 000 Plakate. Ich kenne meine Heimatstadt Zürich durch meine Arbeit mittlerweile wie meine Westentasche, es gibt wohl kaum eine Ecke, die ich von meinen Touren her nicht kenne.
Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus?
Mein Tag beginnt morgens um sechs Uhr, eine Stunde später bin ich in Wallisellen, wo die Allgemeine Plakatgesellschaft (APG) eine Zentrale hat. Dort hole ich die zusammengefalteten und sortierten Plakate für meine Tour ab, die ich stets alleine absolviere. Bevor es losgeht, lege ich die Plakate ins Wasser ein. Das ist notwendig, weil die Plakate sonst nach dem Aufkleben Falten kriegen würden. Und dann fahre ich los mit dem Lieferwagen. Ich mag das Fahren. Genau das habe ich gesucht, als ich vor zwölf Jahren meinen Job als Maurer aufgegeben habe.
Was sind neben den Fahrten die weiteren schönen Seiten an Ihrem Beruf?
Das Schönste an meiner Arbeit sind die Begegnungen mit jenen Menschen, die zufällig vorbeikommen, wenn ich aufklebe. Ein kleiner Junge beispielsweise, der seine Mutter fragt, was ich da tue, und dann fünf Minuten zuschaut.
Und was sind die unangenehmen Seiten?
Im Winter kann es ganz schön unangenehm werden mit der Kälte. Ich habe jedoch einen Trick, um zu verhindern, dass die nassen Plakate einfrieren: Ich lege sie in eine Kühlbox, die eigentlich dazu dient, im Sommer Getränke zu kühlen. Das klappt aber auch im Winter mit den Plakaten. Bevor ich auf diese Idee kam, habe ich sie unter meinen Pullover gestopft, aber danach waren meine Kleider nass. Im Sommer wiederum macht mir die Hitze zu schaffen, besonders wenn der Lieferwagen nicht im Schatten geparkt war. Das ist dann wie in der Sauna. Was mich je länger, je mehr nervt, sind die ewig gleichen – sorry für den Ausdruck – Scheissköpfe der Politiker. Da wird nie etwas Neues ausprobiert. Wieso nicht mal als Comicfigur auftreten oder sich aus einer anderen Perspektive fotografieren lassen? Alles in allem bin ich gerne Plakatanbringer, oder Afficheur, wie wir uns selber nennen. Ich bin viel unterwegs, viel draussen und unter Menschen.
Sie waren Maurer, seit zwölf Jahren bringen Sie nun Plakate an. Was war als Kind Ihr Traumberuf?
Als Kind und Jugendlicher habe ich von einer Karriere als Eishockeyprofi geträumt. Ich war auf einem guten Weg, habe sogar für die Schweizer Junioren-Nationalmannschaft gespielt. Meine damaligen Mitspieler waren Matthias Seger, Benjamin Plüss und Mark Streit, das sind ja heute alles richtige Stars. Die sind auch Jahrgang 1977, so wie ich. Es hat dann leider doch nicht ganz gereicht für den Durchbruch. Doch dem Eishockey bin ich bis heute treu geblieben: Als Fan des Zürcher Schlittschuhclub (ZSC), für den ich früher als Stürmer gespielt habe, und als Schiedsrichter für Plauschspiele. Selber spielen kann ich wegen einer Verletzung leider nicht mehr, ein Leben ganz ohne Eishockey kann ich mir aber nicht vorstellen.
Gibt es etwas, das Ihnen ähnlich wichtig ist wie das Eishockey?
Meine zweite grosse Leidenschaft war früher Techno. Heute gehe ich noch einmal im Jahr an die Street Parade, aber das war es dann auch. Ich kann mit der heutigen Szene nicht mehr so viel anfangen, mir ist das zu kommerziell. Eine kurze Zeit lang war ich so gegen Ende der neunziger Jahre sogar DJ in einem Club, aber wie so viele ehemalige Technoclubs hat auch dieser nach der Jahrtausendwende bald einmal zugemacht. Ab und zu lege ich noch immer auf, aber nur für mich, und nur alte Platten.
Wie erholen Sie sich heute von Ihrer Arbeit?
Ich gehe in den Wald, um Pilze zu suchen. Meine Sammelplätze verrate ich natürlich nicht, kein anständiger Pilzler verrät seine Plätze. Nur so viel: Ich sammle im Grossraum Zürich/Aargau. Für mich ist das Pilzen in den letzten Jahren zu einer Art Sucht geworden. Erst kürzlich hab ich mit einem Kollegen ein Feld voller Maronenröhrlinge entdeckt: Das war wie ein Sechser im Lotto. Die gesammelten Pilze trockne ich dann zu Hause im Dörrex, gerade der Maronenröhrling ist getrocknet viel aromatischer als frisch in der Pfanne gebrutzelt. Ich habe mittlerweile sogar meine geliebte Stadt Zürich verlassen und bin aufs Land gezogen. So bin ich näher bei den Pilzen.