WOZ recherchiert III: Zum Fischen ans Licht
Um die WOZ zu drucken, brauchen Noah Schamberger und sein Kollege von der NZZ-Druckerei eine gute Dreiviertelstunde. Von den anstrengenden Wechselschichten erholt er sich mit Musik und Fernsehserien – oder mit der Angel.

Wie ist es gekommen, dass Sie Drucker geworden sind?
Noah Schamberger: Als Sechzehnjähriger hatte ich natürlich noch keine Ahnung, was ich im Leben wollte. Aber ich musste ja eine Lehrstelle suchen. Zufällig stiess meine Mutter damals auf ein Inserat, dass in der NZZ-Zeitungsdruckerei Schnupperstifte gesucht seien. Bereits mein Vater und meine ältere Schwester hatten beim NZZ-Verlag gearbeitet, also sagte ich mir: Warum nicht?
Während der Schnupperlehre haben mich die Druckmaschinen sehr beeindruckt. Ausserdem gefiel es mir, dass ich für ein Produkt verantwortlich war, das unmittelbar einen Nutzen hatte.
Sie haben nach der Schnupperlehre also beschlossen, in der NZZ-Zeitungsdruckerei auch gleich Ihre Lehre zu absolvieren?
Ja, genau. Meine vierjährige Lehre war allerdings speziell. Ich erlernte nämlich zwei Jobs in einem. Die ersten zweieinhalb Lehrjahre war ich im Bogen-Offset-Druck tätig. Also nicht für den Zeitungsdruck, sondern für qualitativ hochwertigere Produkte wie Poster oder Buchumschläge. Erst danach wechselte ich in den Rollen-Offset-Druck. Ich musste für zwei praktische Abschlussprüfungen lernen, das war hart. Meine zweigleisige Lehre, die ich 2011 abgeschlossen habe, war ein Pilotprojekt, das anschliessend nicht fortgesetzt wurde. Insofern war meine Lehre ziemlich einzigartig. Und anstrengend.
Wie sieht so ein Arbeitstag in der Druckerei aus? Beispielsweise am Mittwochabend, wenn die WOZ gedruckt wird?
So gegen 18 Uhr sollte die WOZ-Redaktion die letzte Zeitungsseite in digitaler Form an uns abliefern. Meistens hält sich die Redaktion zum Glück an die Abgabezeit. Danach werden die digitalen Daten auf eine Druckplatte aus Aluminium übertragen. Erst jetzt kommen wir Drucker ins Spiel: Wir legen die Platte am richtigen Ort in die Druckmaschine ein, dann folgt das Drucken auf die Papierrolle. Das geht unheimlich schnell: Für die Auflage von 18000 WOZ-Exemplaren brauchen wir eine gute Dreiviertelstunde, dann ist sie durch. Wir sind zu zweit während des Druckens. Einer kontrolliert die Farben, der andere die Maschine. Beim Bogen-Offset-Drucken ist man alleine, das ist ein zentraler Grund, weshalb mir der Zeitungsdruck besser liegt. Wir sind übrigens etwa dreissig Drucker bei der NZZ und nur eine Frau. Drucken gilt immer noch klar als Männerberuf.
Gibt es Unterschiede im Druckprozess zwischen der WOZ und der NZZ?
Bei der WOZ hat es viel mehr Gelb. Das Druckverfahren ist dasselbe, aber es gibt natürlich Unterschiede im Ablauf. Die NZZ muss – im Gegensatz zur WOZ – ja täglich in den Druck. Das läuft zweistufig. Die internationale Ausgabe muss früher fertig sein. Das heisst, bis kurz vor 23 Uhr müssen alle Daten bei uns sein. Danach drucken wir die ungefähr 18 000 Exemplare für den internationalen Markt. Bei der nationalen Ausgabe kommen nach 23 Uhr vor allem noch die Sportseiten, da viele Anlässe wie Fussball- oder Eishockeyspiele erst am Abend stattfinden. Um 23.45 Uhr starten wir dann den Druck der etwa 120 000 Exemplare. In der Regel sind wir kurz vor 3 Uhr damit fertig. Dann folgt der mühsamste Teil der Arbeit: das Putzen der Maschine. Besonders die Zylinder sind mühsam, da muss man ordentlich schrubben. Kurz vor 4 ist die Schicht schliesslich beendet.
Mitten in der Nacht. Sie sind dann noch aufgeputscht vom Putzen, vom Lärm der Maschine. Wie kommen Sie dann nach Hause? Und wie kommen Sie wieder runter?
Ich wohne mittlerweile in Schlieren, wo ja auch die NZZ-Druckerei steht. Meistens fahre ich mit dem Velo zur Arbeit, ab und an nimmt mich ein Arbeitskollege mit. Früher habe ich in Dietikon gewohnt. Da habe ich mir auf dem Nachhauseweg am Bahnhof ab und zu ein Bier gekauft. Alle anderen Menschen am Bahnhof waren frisch aufgestanden, ihr Arbeitstag hatte gerade begonnen, während ich aus der Nachtschicht kam und mir ein Feierabendbier gönnte. Immer wieder haben mir Leute kopfschüttelnd Blicke zugeworfen: «Wie kaputt ist der Typ denn? Schon so früh am Morgen ein Bier zu kippen», haben sie gedacht. Das war schon ziemlich absurd.
Wie oft haben Sie Nachtschichten? Ich nehme an, es gibt auch Wochenendschichten?
Es gibt vier verschiedene Schichten bei uns. Eine Frühschicht, die um 6 Uhr beginnt, und um 15 Uhr endet. Dann gibt es eine Nachtschicht von 21 bis 4 Uhr. Diese Schichten laufen jeweils von Montag bis Freitag. Die sogenannte Spätschicht hingegen, die von 12.30 bis 21.30 Uhr dauert, läuft von Mittwoch bis Samstag. Und dann gibt es noch die Mittelschicht. Sie ist in zwei Blöcke aufgeteilt: Montag bis Mittwoch von 13 bis 21 Uhr. Und Freitag bis Montag von 21 bis 4 Uhr. Der Donnerstag ist frei. Meine Arbeitszeiten sind also sehr unregelmässig. Doch das ist kein grosses Problem, ich kenne ja seit meiner Lehre nichts anderes. Ich muss gestehen, am schlimmsten finde ich sogar die Frühschicht, ich stehe nicht gerne im Morgengrauen auf. Ausserdem habe ich in der Nacht meine kreativsten Phasen.
Der Schichtbetrieb belastet Sie also nicht wirklich?
Wie gesagt, ich habe mich daran gewöhnt. Es belastet und stört mich weit mehr, dass unsere Löhne in den letzten Jahren stark unter Druck geraten sind – unsere Nachtschichtzulagen sind beispielsweise runtergegangen. Wegen der Wirtschaftslage, wie die Verantwortlichen stets sagen. Gerade als junger Drucker betrifft mich das noch mehr als die älteren Mitarbeiter, weil diese Zuschläge kriegen für die Dienstjahre und so. Wir leisten die genau gleiche Arbeit, erhalten aber nicht denselben Lohn. Und ich als Junger ziehe den Kürzeren.
Am meisten stresst mich aber, dass die Lohnsituation zu einem Konkurrenzkampf geführt hat. Man gönnt den anderen die Zulagen nicht. Das wirkt sich aufs Arbeitsklima aus, das früher definitiv besser war. Ganz ehrlich, ich halte die Logik hinter den Zulagenkürzungen für Nacht- und Wochenendschichten für idiotisch.
Sind Sie Mitglied einer Gewerkschaft?
Nein. Ich weiss aber, dass das Druckergewerbe eine lange und starke Tradition im Kampf um seine Arbeitsrechte hat. Es ist ja auch ein anspruchsvoller und harter Job – gerade wegen der flexiblen Arbeitszeiten. Ich kann mir zum Beispiel kein Hobby leisten, das eine regelmässige Anwesenheit fordert.
Damit fallen die meisten Sportarten weg. Irgendein Hobby werden Sie aber haben?
Musik ist das Wichtigste in meinem Leben. Neben meiner Freundin, das sollten Sie unbedingt aufschreiben, damit sie nicht traurig ist. Momentan spiele ich in einer Band Schlagzeug. Die Musik geht in Richtung Soul und Funk. Früher hab ich Progressive Rock gespielt. Aus dem Bereich stammen auch meine Vorbilder: Thomas Pridgen oder John Theodore, die beide bei The Mars Volta getrommelt haben. Mein Musikgeschmack ist sehr breit, ich höre von Queens of The Stone Age über The XX bis zu Thom Yorke alles. Ausserdem bin ich ein richtiger TV-Serien-Junkie: «Breaking Bad», «Game of Thrones», «Homeland», «Walking Dead». Die habe ich alle durchgesehen. Ich schlafe halt relativ wenig.
Das sind Hobbys in geschlossenen Räumen, die Druckerei ist auch in einer grossen Halle. Ich hoffe schon, Sie kommen auch mal raus in die Sonne?
Dafür habe ich das Fischen. Und auch da hatte ich als Teenager eine Hardcore-Phase, als ich praktisch mein gesamtes Geld und all meine Ferien dafür verbraucht habe. Ich bin jedes Wochenende irgendwohin gereist, ins Tessin beispielsweise. Es war krank. Heute fische ich noch immer sehr, sehr gerne – vor allem Fliegenfischen –, aber ich bin nicht mehr vergiftet. Das nächste Wochenende beispielsweise verbringe ich nicht an einem Fluss- oder Seeufer, sondern in Paris. Mit meiner Freundin.