Wohnraum als Performance?

Ein Menschenauflauf im beschaulichen Zürcher Stadtkreis 6. Was wird geboten? Ich mische mich unter eine zusammengewürfelte Schar, die plaudernd Schlange steht, um ein neues Haus mit auffälliger Aluverkleidung zu besichtigen. Erinnert irgendwie an die Monte-Rosa-Hütte – oder an einen Nobelcontainer. Die dreissig Wohnungen im Haus sind eng, die meisten knapp fünfzig Quadratmeter im Grundriss, Stauraum gibts kaum. An der Aussenfassade hängen halbrunde metallene Balkone wie Käfige. Zum Innenhof hin gibts weitere Balkone, zumindest bei Regen ähnlich unpraktisch, aber in Holz.

Der Clou der meisten Wohnungen scheint eine verschiebbare Wand zu sein, die sich auch um die eigene Achse drehen lässt. Sie soll neue Raumaufteilungen ermöglichen. Bei der Besichtigung ist sie allerdings vor allem im Weg – und kollidiert beim Rumschieben unweigerlich mit dem ebenfalls beweglichen Spiegelschrank. Kinder turnen an einer – natürlich verschiebbaren – Kleiderstange. Ihnen gefällts, ihren Eltern weniger. Dank einer grosszügigen Küchenzeile und – etwas überraschend – einer Waschmaschine in jedem einzelnen der kleinen Badezimmer wären die Miniwohnungen als extravagant geschnittene Apartmenthotelzimmer ganz brauchbar. Ansonsten machen sie eher ratlos. Zum Trost gibts gratis Bier und Glace.

Ein paar Tage später lese ich im «Tages-Anzeiger», dass einer der verantwortlichen Architekten des «Performativen Hauses» die Badezimmer als «sehr kompakt, wie in einem Schlafwagen» beschreibt. Aber wer möchte sich daheim freiwillig in ein enges Schlafwagenbad quetschen? Auf die etwas skeptische Frage, wie praktisch er die verschiebbare Wand finde, gibt er zur Antwort: «Das Spiel stand von Anfang an über der Effizienz.» Der Mann hat Humor. Den werden auch die Be­woh­ner:in­nen des spielerischen Experiments brauchen.

Eigentlich geht es hier ja um eine wichtige und ernste Sache: platzsparende, funktionale Wohnungen für Singles in einer Stadt, wo der Wohnraum ein knappes Gut ist. Zwischen 1700 und 2500 Franken Miete kosten die Klausen. Man suchte also gut verdienende Singles mit sehr wenig Besitz. Offenbar kein Problem: Alle Einheiten sind bereits vermietet. Heute ist grosser Einzugstag. Ich spaziere nochmals zum Haus. Die ersten Mie­ter:in­nen stehen mit ein paar Schachteln und Migros-Säcken parat. Vielleicht kommts gut. Werde in ein paar Wochen nochmals vorbeischauen.
Hinterhältiger beobachtet keiner: Der Wolf Lonely Lurker schleicht im «Zoo» auf woz.ch jeder Fährte nach.