Gotthard­blockade: Erdbeer­benebelt im Stau

Seit Stunden stehe ich jetzt schon mit meinem Fiat Panda vor dem Gotthard und warte. So wie jedes Jahr, wenn ich nach Italien fahre, um dort mein Rudel zu besuchen, das elende Pack, das ich nicht mal mag. Traditionen halt: Eier suchen in den Voralpen.

Fünfzehn Kilometer Stau, und ich bin froh um jede Minute, die ich noch allein verbringen darf. Im Radio läuft «Imagine», ich ziehe an meiner E-Zigarette, da beginnen die Autos vor mir in der Kolonne zu hupen. Vor dem Tunneleingang setzen sich Aktivist:innen von Renovate Switzerland auf die Autobahn und halten Transparente hoch. Die Gruppe hat ein Rebranding vorgenommen: Sie tritt jetzt nicht mehr im Rivella-Look auf, sondern schlichter. Man muss mit der Zeit gehen.

Ich kenne die Aktivist:innen schon aus «20 Minuten». Sie fordern immer das Gleiche: dass die Regierung den Klimanotstand ausrufen und «einen sofortigen Notfallplan zur thermischen Sanierung aller Gebäude im Land bis 2035» vorlegen soll. Darum jetzt also die Blockade einer Autobahn, was mir schon Eindruck macht: Die Gotthardröhre zu blockieren, braucht Mut. Eine Autofahrerin reisst den Angeklebten die Transparente aus den Händen. Der «Blick» druckt später Porträtfotos von ihnen auf der Titelseite ab. So viel Aufmerksamkeit bekommen sonst höchstens noch die Zürcher «Chaoten» vom Samstag zuvor. «Reclaim the streets»: zieht immer.

Und der zivile Ungehorsam, den Renovate praktiziert, ist ja sicher auch legitim angesichts der Klimakatastrophe – selbst wenn das der Porsche-Cayenne-Fahrer neben mir wohl anders sieht. Stören, nerven, blockieren: Das Bedürfnis, irgendetwas gegen die Apathie zu unternehmen, ist verständlich.

Aber schon nach einer halben Stunde ist die Blockade behoben – leider. Im Erdbeernebel meiner E-Zigarette frage ich mich kurz: Finde ich es eigentlich sinnvoll, eine Million Häuser klimagerecht zu sanieren? Doch, eigentlich schon. Wieso nicht? Dann drücke ich aufs Gas und brettere gemeinsam mit Tausenden durch die Alpenröhre. Da hätte man ja auch was dazu sagen können.

Präziser beobachtet keiner: Der Wolf Lonely Lurker schleicht im «Zoo» auf woz.ch jeder Fährte nach.