Alain Berset: Ein Profi nimmt den Hut

Nr. 25 –

Es war ein Auftritt ganz nach Marke Berset: Zur Überraschung aller kündigte er am Mittwoch seinen Rücktritt aus dem Bundesrat auf Ende Jahr an. Und wie immer gab sich der Charakterglatzkopf selbstbewusst: Die Affären, die ihm die Rechte anzuhängen versuchte, wischte er weg. Stattdessen setzte er zu einem Loblied auf die politischen Institutionen an: Nach drei Legislaturen sei die Zeit gekommen, das Amt abzugeben. Dreimal hätten die Stimmberechtigten seine Pandemiepolitik gestützt. In diesem Moment erschien er, der vermeintliche Coronadiktator, wie der oberste Demokrat im Land. Man sollte Bersets Einsatz für die Demokratie tatsächlich nicht gering schätzen, gehörte er doch schon als junger Freiburger Ständerat zu jenem verschworenen Zirkel, der den Oligarchen Christoph Blocher aus dem Bundesrat warf. Es bleibt die wichtigste Tat in der jüngeren Schweizer Geschichte gegen rechtspopulistische Allmachtsfantasien.

Als Berset selbst Bundesrat war, führte er zwölf Jahre lang das für den sozialen Ausgleich entscheidende Innendepartement. Seine Amtsführung steht beispielhaft dafür, was die Linke im Bundesrat leisten kann – und wo sie an ihre Grenzen stösst. Kaum je distanzierte sich Berset von der SP oder den Gewerkschaften, um den Rechten zu gefallen. Und war doch ganz der Regierungsprofi, der nach Mehrheiten suchte. Fast wäre ihm mit der AHV-Reform 2020 der Durchbruch für eine soziale Finanzierung der Altersvorsorge geglückt. Die Vorlage scheiterte nur knapp. Diese Niederlage, räumte er am Mittwoch ein, schmerze ihn am meisten. Trotzdem musste er später die Erhöhung des Rentenalters für die Frauen ohne echten Ausgleich mittragen.

Seine Bilanz zeigt: Eine sozialere Politik gibt es nur, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament ändern. Auf alle nun folgenden Spekulationen – ob die SP über die kommenden Wahlen ihren zweiten Sitz im Bundesrat halten kann, ob sie ihn an die Grünen verliert oder sogar drei linke Sitze in Reichweite liegen – gibt es nur eine Antwort: Die linken Parteien müssen bei den Wahlen im Herbst zulegen. Bersets Rücktritt ist auch ein Weckruf.