Anna Felder: Die stolze Schönheit der Katzen

Nr. 18 –

Musikalität, Rhythmus und Klang zeichnen das Werk von Anna Felder aus. Dieses Jahr wurde die achtzigjährige Autorin mit dem Schweizer Grand Prix Literatur ausgezeichnet.

Anna Felder, Autorin. Foto: Ladina Bischof

Anna Felder trat bereits an den allerersten Solothurner Literaturtagen 1979 auf. Mit der ihr eigenen charmanten Zurückhaltung hat sie die italienischsprachige Literatur der Schweiz in Solothurn immer wieder vertreten und mit ihrem so konzentrierten wie vielseitigen Œuvre über Jahrzehnte wesentlich geprägt.

Als Kind eines Deutschschweizers und einer Italienerin 1937 in Lugano geboren und aufgewachsen, wurde Anna Felder nach abgeschlossenem Romanistikstudium vom Zufall nach Aarau geführt. Dort hat sie Generationen von GymnasiastInnen mit ihrem begeisternden Italienischunterricht in Bann geschlagen, hat sie für die Schönheiten der dritten Landessprache und für die Reize literarischen Sprechens sensibilisiert. Wer immer unter ihren ehemaligen SchülerInnen nachfragt, dem wird mit leuchtenden Augen von einer faszinierenden Vermittlerin berichtet, die ebenso respektvoll wie zugewandt, mit überragender Kompetenz und subtiler Einfühlung als Pädagogin Massstäbe gesetzt habe. Waches Interesse für das Gegenüber, Freundlichkeit und feiner Humor zeichnen bis heute die Autorin aus, der man ihre achtzig Jahre nicht ansieht und die noch immer eine enorme Präsenz ausstrahlt.

Zwischen zwei Heimaten

Eben ist ihr neuer Prosaband mit verstreuten Erzählungen der letzten Jahre – 2017 italienisch unter dem Titel «Liquida» publiziert – im Limmat-Verlag mit dem Titel «Circolare» auf Deutsch erschienen. Sowohl das Flüssige wie das Kreisende haben viel mit der punktgenauen Arbeit dieser Wortsetzerin zu tun. Sie erzählt im neuen Band mal von «lì» (dort), mal von «qui» (hier) und von der «Flüssigen» (liquida) – so wurde die Autorin nämlich auf einem Briefumschlag bezeichnet. Typisch für Anna Felder: In ihrem Nachwort zu «Liquida» gibt sie mögliche Deutungen dieser Anschrift, ohne sich aber für eine zu entscheiden. Vieles offen, unaufgelöst zu belassen, was die Lesenden zur eigenen Interpretation herausfordert – dies ist allen Büchern dieser eigensinnig-eigenwilligen Autorin gemeinsam.

Ihr Romanerstling, «Quasi Heimweh», erschien 1970 und handelt von einer jungen Lehrerin, die zur Zeit der Überfremdungsinitiative von James Schwarzenbach aus der italienischen Schweiz in den Aargau kommt. Hier unterrichtet sie Kinder italienischer «Gastarbeiter», wie die Menschen, die als Arbeitskräfte aus dem Süden kamen, damals genannt wurden, in Deutsch. Das Buch, das sich noch heute frisch und aktuell liest, erschien zuerst in der deutschen Übersetzung, unter anderem als Fortsetzungsroman in der NZZ. Erst zwei Jahre später kam es im italienischen Original mit dem in seiner lautmalerischen Knappheit nicht zu übertreffenden Titel «Tra dove piove e non piove» (zwischen dort, wo es regnet, und dort, wo es nicht regnet) heraus – der Titel spielt auch mit dem Klischee vom sonnigen Süden und regnerischen Norden.

Über den Spagat zwischen italienischem und deutschem Sprach- und Lebensraum gibt es im neuen Erzählband wunderbare Miniaturen, etwa über zwei prächtige «verirrte» Marronibäume mitten in Felders stillem Wohnquartier in Aarau oder über die heimatlichen Gefühle, die die korrekte Aussprache italienischer Namen bei einem Spaziergang in Lugano bei ihr auslöst. Es sind oft raffiniert poetisierte Alltagsbegebenheiten oder Momente, die Anna Felder stimmig und überraschend zu gestalten versteht – wenn etwa die Zugdurchsage «Göschenen» für die Erzählerin nach «coscienza» (Bewusstsein) klingt.

Anna Felder ist eine hochgebildete, mit Italiens Dichtung bestens vertraute Autorin. Ihre Prosatexte stehen der Lyrik oft nahe. Die Musikalität, der Rhythmus, der Klang und die subtile Wortwahl verraten das unermüdliche Ringen um die makellose Form. Diesen Januar erhielt sie den Schweizer Grand Prix Literatur für ihr Lebenswerk. Zu Recht heisst es in der Laudatio für den Preis, die Autorin sei «einem Schreibstil treu geblieben, in dem die Musik zuweilen wichtiger ist als das Libretto».

Unnachahmliche Sprachkunst

Ihr zweiter Roman, «La disdetta» (die Kündigung), über BewohnerInnen eines Hauses, denen gekündigt wird, erschien im renommierten Einaudi-Verlag, wo der Autor Italo Calvino als Lektor arbeitete. Dieser, so erinnert sich Felder, habe ihr Schreiben beflügelt. Deutsch wurde der Roman unter dem Titel «Umzug durch die Katzentür» veröffentlicht – eine der Erzählstimmen ist eine Katze. Und wenn es eine Konstante in Felders Schreiben gibt, dann die leitmotivische Präsenz von Katzen. In der stolzen Schönheit und geheimnisvollen Unberechenbarkeit dieser Gattung hat sich Anna Felder, wie verhalten auch immer, gewiss auch selbst porträtiert.

In einem ihrer schönsten Bücher, «Gli stretti congiunti» (1992; deutscher Titel: «Die nächsten Verwandten», 1993), in dem Anna Felder vierzehn Kurzgeschichten zu einem losen Erzählreigen bündelt, findet sich ein Satz, der sowohl die unnachahmliche Sprachkunst dieser Autorin illustriert als auch den Zauber ihrer Persönlichkeit treffend fasst: Im Kapitel «L’Amante» lesen wir von Lena, der Ehefrau des «Liebhabers», «… per Lena che pure rideva come rideva Lena dentro il gran serio che per miracolo la teneva insieme e la teneva salva.» – in perfekter Lakonik und Lautmalerei kaum übersetzbar! Trotzdem sei hier noch die deutsche Übersetzung angefügt: «Lena, die auch lachte, wie Lena zu lachen pflegte, im Innern jenes grossen Ernstes, der sie in wunderbarer Weise umschloss und ihre Unversehrtheit bewahrte.»

Veranstaltungen mit der Autorin in Solothurn am Fr, 11. Mai 2018, um 17 Uhr, am Sa, 12. Mai 2018, um 20 Uhr und am So, 13. Mai 2018, um 11 Uhr.

Anna Felder: Circolare. Limmat Verlag. Zürich 2018. 144 Seiten. 29 Franken