Lage im Iran: Den Bomben und dem Regime ausgeliefert

Nr. 25 –

Für die Menschen im Iran gibt es kaum Schutz, wenn die Raketen aus Israel einschlagen. Auch wenn viele auf den Sturz des Regimes hoffen, überwiegt die Angst.

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Raketeneinschläge in Teheran am vergangenen Sonntag in der Nacht
Raketeneinschläge in der Hauptstadt: Teheran am vergangenen Sonntag. Foto: Khoshiran, Imago

Während die Menschen im Iran in Panik vor Israels Raketenangriffen fliehen, versucht Staatsoberhaupt Ali Chamenei, den Eindruck zu vermitteln, er habe alle Macht in seiner Hand. «Schwere Schläge für den zionistischen Feind», schrieb er am Montag auf X und präsentierte ein kurzes Video mit iranischen Gegenschlägen. «Dies wird das Regime in den Ruin treiben», drohte er.

Zeitgleich zirkulierten auf Social Media und auf türkischen Medienportalen Videos von langen Staus an der iranisch-türkischen Grenze. Am Grenzübergang bei Bazargan etwa, ganz im Nordwesten des Landes, sind Hunderte Personen zu sehen, die dicht gedrängt darauf warten, ins Nachbarland eingelassen zu werden. Die Iraner:innen wissen, dass das Regime sie nicht zu schützen vermag – und dass beiden Konfliktparteien alles zuzutrauen ist in diesem neuen Krieg, der in der Nacht auf Freitag seinen Anfang genommen hat.

Er habe am Donnerstag noch bemerkt, dass das Internet immer langsamer geworden sei, sagt ein Student in der Hauptstadt Teheran, der aus Furcht vor staatlicher Repression wie alle Menschen vor Ort in diesem Text anonym bleiben möchte, in einem kurzen Whatsapp-Gespräch am Sonntag. «Aber ich hätte niemals gedacht, dass ich am nächsten Tag in einem Krieg aufwache.»

Obwohl sich Israel und der Iran im letzten Jahr wiederholt angegriffen haben, wurde vergangene Woche eine völlig neue Dimension erreicht. Das israelische Militär hat damit begonnen, iranische Atomanlagen und Einrichtungen zur Herstellung von Raketen zu bombardieren. Zusätzlich wurden Atomwissenschaftler und Funktionäre der Revolutionsgarde in ihren Wohnungen getötet. Mindestens 224 Menschen wurden im Iran gemäss dem Gesundheitsministerium seit Beginn der Angriffe getötet und über 1000 verwundet. Die meisten Opfer seien Zivilist:innen.

Isoliert und geschwächt

Schon während der ersten, unübersichtlichen Stunden hätten die Einwohner:innen Teherans Geschäfte gestürmt, so erzählt der Student, und die Schlangen vor den Tankstellen seien immer länger geworden. «Wir Iraner möchten diesen Krieg nicht. Wir wollen nicht sterben, wir wollen frei leben und endlich Frieden», sagt der 22-Jährige. So würde es allen Menschen in seinem Umfeld gehen. «Wir haben Angst um unsere Leben. Wir sind machtlos. Wir können nichts tun.» Nirgends gebe es Frühwarnsysteme oder Luftschutzräume. Man sei den Bomben ausgeliefert. Dann ist die Verbindung unterbrochen, das Internet funktioniert unzuverlässig.

Bereits wenige Stunden nach Beginn der israelischen Luftoffensive liess Chamenei in einer Fernsehansprache verlauten, dass die iranischen Streitkräfte entschlossen Vergeltung üben und «das abscheuliche zionistische Regime verkrüppeln» würden. Doch sämtliche, teils sogar erfolgreiche Gegenattacken vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, wie sehr das Regime mittlerweile an Macht verloren hat. Die politischen Führer sind aussenpolitisch isoliert, innenpolitisch mit immensem Widerstand konfrontiert, und sie kämpfen seit Jahren gegen eine hartnäckige Rezession. Derzeit beträgt die Inflationsrate über dreissig Prozent.

Während die Weltöffentlichkeit üblicherweise vor allem auf die Kriegsschauplätze in der Region schaut, geht das iranische Regime weiterhin unerbittlich gegen seine Kritiker:innen im Innern vor. Die Menschenrechte achtet es nicht. Es blockiert Gesetze zum Schutz von Frauen gegen Gewalt (siehe WOZ Nr. 22/25), und es lässt vermehrt Todesstrafen vollstrecken (siehe WOZ Nr. 35/24). Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden im Iran im vergangenen Jahr mindestens 972 Personen hingerichtet. So überrascht es nicht, dass in den sozialen Netzwerken zuweilen spöttisch auf Israels gezielte Tötung einer ganzen Reihe hoher Militärs reagiert wurde.

Aber auch das bleibt für die Iraner:innen gefährlich: Seit Freitag werden Personen festgenommen, die sich kritisch zur Aktualität geäussert haben. Etwa die Studentin Motahareh Goonei, die in Haft kam, nachdem sie Schutz für die Bevölkerung gefordert hatte: «Man vermag nicht einmal die eigenen Kommandeure zu schützen!», hiess es in ihrer Nachricht auf X. Erst im Mai war die Studentin aus dem berüchtigten Evin-Gefängnis entlassen worden, nachdem sie eine einjährige Haftstrafe wegen «Propaganda gegen den Staat» verbüsst hatte. Grund dafür war ihre Teilnahme an einem Sit-in im April letzten Jahres gegen das mittlerweile aufgehobene Todesurteil gegen den Rapper Toomaj Salehi gewesen.

Bilder aus der Vergangenheit

Expert:innen schätzen, dass rund neunzig Prozent der Bevölkerung das Regime ablehnen. Doch: «Was die Iraner wollen, ist Solidarität.» Das schrieb dazu stellvertretend die iranisch-US-amerikanische Schriftstellerin Sahar Delijani in einem Post auf Instagram. «Nicht Krieg. Nicht Bomben. Nicht Invasion.»

Der Islamwissenschaftler Mahdi Rezaei-Tazik, der an der Universität Bern zum Iran forscht, sagt: «Neben einer Atmosphäre der Angst und Ungewissheit herrscht im Iran auch ein Gefühl innerer Zerrissenheit.» Zum einen setzten manche durchaus Hoffnung in die Angriffe Israels, in der Erwartung, dass diese das Regime schwächen, einen nationalen Aufstand auslösen und letztlich zu dessen Sturz führen könnten. «Zum anderen fürchten viele das schlimmste Szenario», sagt Rezaei-Tazik: dass nämlich das Land völlig zerstört werde, das Regime dennoch überlebe und am Ende gegenüber Israel kapituliere. «Wenn es hart auf hart kommt, wird das Regime alles unternehmen, um seinen Erhalt zu sichern», so der Wissenschaftler.

Bei vielen Iraner:innen kommen auch Bilder aus der Vergangenheit wieder hoch. «Diese Situation erinnert mich an den Iran-Irak-Krieg», beschreibt ein Lehrer aus Teheran via Whatsapp seine Gefühle. Der heute Fünfzigjährige war noch ein Kind, als sich die Nachbarländer in den achtziger Jahren in einem langen und sehr blutigen Krieg bekämpften. Zur jetzigen Lage sagt er: «Überall riecht es nach Rauch, diesmal tobt der Krieg nicht an den Grenzen, sondern mitten auf unseren Strassen. Wo soll das alles nur enden?»

Nach dem Übel das schlimmere Übel

Und dann gibt es noch jene, die im Iran eigentlich Zuflucht gesucht haben vor einem anderen unterdrückerischen Regime: Nach UNHCR-Schätzungen leben etwa 4,5 Millionen Afghan:innen im Iran. Etwa eine fünfzigjährige Mutter, die mit ihrer Familie erst vor zwei Monaten aus dem Nachbarland nach Teheran gereist ist. «Wir sind hierhergekommen, weil wir uns in Afghanistan nicht mehr sicher fühlten», erzählt sie via Whatsapp.

Vielen Geflüchteten gehe es im Iran zwar sehr schlecht, aber in vielerlei Hinsicht sei das Leben dort immer noch besser als in der Heimat unter den Taliban. «Hier gibt es Infrastruktur, Bildung und Kultur», sagt sie und fragt: «Soll das alles nun weggebombt werden?» Und allen, die nun auf einen Machtwechsel dank israelischer Unterstützung hoffen, hat sie eine Lehre aus der eigenen Lebenserfahrung mitzuteilen. «Ich verstehe, dass viele Iraner das Mullahregime verabscheuen», sagt sie, aber Regimewechsel von aussen hätten in Afghanistan bisher nie das Gewünschte gebracht. «Meist kam nach dem Übel nur das noch schlimmere Übel.»