Frag die WOZ : Soll der Boden verstaatlicht werden?

Diesen Artikel hören (6:29)
-15
+15
-15
/
+15

«Wäre es nicht schlicht ein Akt der Fairness und Solidarität, wenn der Boden verstaatlicht würde?»

K. S. per Mail.

Doch. Auf jeden Fall!

Über Jahrhunderte sind immer wieder Menschen zum gleichen Schluss gekommen: Privateigentum an Boden ist grundfalsch und unfair. Und auch unlogisch: Warum soll die Oberfläche des Planeten, der uns hervorgebracht hat, den einen gehören und den anderen nicht? Am bekanntesten ist wohl das Zitat des Genfer Aufklärers Jean-Jacques Rousseau zum Thema: 

«Der Erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen liess zu sagen: Dies ist mein, und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Not und Elend und wie viele Schrecken hätte derjenige dem Menschengeschlecht erspart, der die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: Hütet euch, auf diesen Betrüger zu hören; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass die Früchte allen gehören und die Erde niemandem.»

Die Menschheit hat mehr als 95 Prozent ihrer Zeit sehr gut ohne Privateigentum an Boden gelebt. Kommunistische und anarchistische Überzeugungen können als Erinnerungen an egalitärere Zeiten verstanden werden: Wir konnten das einmal. Bodeneigentum ist auch nicht zwangsläufig eine Folge von Sesshaftwerdung und Landwirtschaft: In den verschiedensten Weltregionen, etwa Nord- und Südamerika oder Südostasien, betrieben Menschen jahrtausendelang Land- und Gartenbau in kollektiven Strukturen.

Bodeneigentum war lange ein Sonderfall, auf kleine Gebiete beschränkt: etwa auf die ersten Stadtstaaten Mesopotamiens. In seinem brillanten Buch «Die Mühlen der Zivilisation» hat der US-amerikanische Politologe James C. Scott die neuere Forschung zur Frühgeschichte dieser Region zusammengetragen und zeigt, dass die bisherige Fortschrittserzählung keine Grundlage hat. Die Zustände in den ersten «Zivilisationen» waren zum Davonlaufen – und ihre Untertanen liefen auch davon, wenn sie konnten:

«Die frühen Staaten waren fragil und anfällig für Zusammenbrüche, doch die darauffolgenden ‹dunklen Zeitalter› dürften oft eine faktische Verbesserung des menschlichen Wohls bedeutet haben. Schliesslich lässt sich mit guten Gründen behaupten, dass das Leben ausserhalb des Staates – das Leben als ‹Barbar› – materiell gesehen häufig leichter, freier und gesünder war als das Leben innerhalb der Zivilisation – zumindest für die Nichteliten.»

Zusammen mit der Idee des Eigentums an Land, Menschen und Tieren kam auch eine weitere Plage der Menschheit in Mode: die patriarchale Familie. Der Zürcher Anthropologe Carel van Schaik fasst zusammen:

«Sobald die Landwirtschaft intensiv wird, sobald es Besitz zu vererben gibt, werden die Gesellschaften patriarchal. Dann bleiben Männer am Ort der Geburt und erben das Land, und die Frauen müssen in die Fremde und verlieren ihre alten Netzwerke» (siehe WOZ Nr. 3/24). 

Im hellenischen Griechenland und im Römischen Reich war das Davonlaufen dann nicht mehr so leicht: Kleinbäuer:innen und andere Arme endeten oft als Sklav:innen, weil sie ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten.

Die Vergesellschaftung des Bodens war eine der zentralen Forderungen der sozialistischen Bewegungen. Für Karl Marx war klar: «Die Zukunft wird entscheiden, dass der Boden nur nationales Eigentum sein kann.» Rosa Luxemburg schrieb: «Wir wollen nicht, dass die Reichen mit den Armen teilen, sondern dass es überhaupt keine Reichen und Armen gibt. Aber das wird erst dann möglich, wenn die Quelle jeglichen Reichtums: Land und alle anderen Arbeitsmittel dem ganzen arbeitenden Volk gemeinsam gehören werden […].» Und der Anarchist Pierre-Joseph Proudhon spottete: «Aber um wie viel erhöht denn der Eigentümer die Nützlichkeit von Sachen, die der Pächter produziert hat? Hat er gepflügt, gesät, geerntet, gemäht, gejätet?»

Leider ist die Schweiz weit davon entfernt, eine Vergesellschaftung des Bodens in Erwägung zu ziehen. Auch der radikalste Versuch einer Bodenreform der letzten Jahrzehnte, die Stadt-Land-Initiative, hatte dieses Ziel nicht. Sie wollte «nur» die Bodenspekulation eindämmen: «Grundstücke dürfen nur zum Eigengebrauch bei nachgewiesenem Bedarf oder zur Bereitstellung preisgünstiger Wohnungen erworben werden. Der Grundstückerwerb zu Zwecken reiner Kapitalanlage oder zur kurzfristigen Weiterveräusserung ist ausgeschlossen.» Die Bürgerlichen fanden aber schon das unerhört kommunistisch, die Initiative wurde am 4. Dezember 1988 mit fast 70 Prozent Nein-Stimmen verworfen. 

Die Frage, wie die Landnutzung gestaltet wird, ist allerdings mit der Verstaatlichung nicht gelöst, lieber Leser. Leider waren die Staaten, die im 20. Jahrhundert den Boden verstaatlicht haben, nicht demokratisch, die Verteilung des Bodens oft ungerecht, wenn nicht korrupt. Ein demokratisches System, wie ein Staat seinen Boden zur Nutzung vergeben könnte, wäre noch zu entwickeln. Die Selbstverwaltungs- und die Genossenschaftsbewegung könnten dabei Inspiration bieten.

Zum Schluss die vielleicht schönste Textstelle zum Thema. Sie stammt vom Anarchisten Gustav Landauer:

«Die Gesellschaft kann nur kapitalistisch sein, weil die Massen bodenlos sind. Der Boden nämlich ist kein Kapital, ist ganz etwas andres als Kapital. Der Boden, aus dem alles kommt, was die Industrie dann weiterverarbeitet, und aus dem all unsere Lebensmittel kommen, ist ein Stück Natur, wie die Luft, die wir atmen, wie das Licht und die Wärme, ohne die kein Leben ist. Wie die Luft und das Licht muss die Erde und das Wasser frei sein.»

Immer montags beantworten wir in der Rubrik «Frag die WOZ» jeweils eine wirklich (un)wichtige Leser:innenfrage. Noch Fragen? fragdiewoz@woz.ch!