Polizeigewalt in Bern: Kleine und grosse Grausamkeiten

Nr. 42 –

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Eva* meldet sich mit einem Bild bei der WOZ. Es zeigt das Gesicht ihres Freundes, sein Auge, das blutunterlaufen und rundherum geschwollen ist. Eva war mit ihm letzten Samstag an der grossen Palästinademo in Bern. Eine Demo, in deren Verlauf Teilnehmer:innen Scheiben einschmissen und die Polizei attackierten, wobei sich Medien und Politik weitgehend einig sind, wer für die Eskalation die alleinige Verantwortung trägt: die Demonstrant:innen.

Evas Schilderung führt zu einer anderen Deutung der Ereignisse. Sie und ihr Freund hätten sich von der Demo zu entfernen versucht, weil sie einen Stimmungswechsel wahrgenommen hätten: von friedlich zu angespannt. Dabei sei ihr Freund unvermittelt mit Gummischrot am Auge getroffen worden. Als sie mit erhobenen Händen der Polizei signalisierten, sie bräuchten Hilfe, seien weitere Schüsse auf sie erfolgt, die sie aber verfehlten.

Die Darstellung fügt sich in die Analyse von Amnesty International Schweiz ein, die von «beunruhigenden Berichten» über Gesichtsverletzungen spricht: Vielfach sei aus zu kurzer Distanz auf Kopfhöhe gezielt worden. Oder in die Beobachtungen der Demokratischen Jurist*innen, die ausserdem berichten, aus den Wasserwerfern sei mit Reizstoff versetztes Wasser gekommen. Oder in die Schilderungen all der kleinen Grausamkeiten im Polizeikessel. «Wir stellen die Grundrechtskonformität des Einsatzes infrage», so die Jurist*innen.

Die Polizei sagt, sie habe «das Beste getan, um weitere grössere Krawalle abzuwenden und Schlimmeres zu verhindern». Über die Anzahl der Verletzten habe man noch keine Übersicht, dem Wasser in Wasserwerfern werde mitunter Reizstoff beigesetzt, und das Abfeuern von Gummigeschossen aus nächster Nähe sei aus Notwehr oder Notwehrhilfe erfolgt.

Doch ist es nicht so klar, wer sich gegen wen wehren muss. Die Polizeigewalt in Bern ist kein Einzelfall: Immer wieder begegnete der Staat propalästinensischen Protesten vielerorts mit scharfer Repression. Das ist fatal. Nicht nur, weil es zur Delegitimierung und Kriminalisierung der Solidaritätsbewegung führt, sondern auch zu deren Radikalisierung beiträgt.

* Name der Redaktion bekannt.