Vor 600 Jahren: Gegen die «fetten Mönche des Herrn»

Nr. 27 –

1415 wurde der Reformator Jan Hus als Ketzer verbrannt. Obwohl er vor allem die Kirche erneuern wollte, beflügelte er eine Aufstandsbewegung.

Bis zuletzt weigerte er sich zu widerrufen. Am Mittag des 6. Juli 1415 wurde der Scheiterhaufen ausserhalb der Konstanzer Stadtmauer angezündet. Der Verurteilte betete, dann sang er oder schrie laut auf, je nach parteilicher Lesart. Jedenfalls dauerte es einige Zeit; die Reisigbündel und das Holz waren verbrannt, doch noch immer hing eine Körpermasse am Pfahl, also stocherten die Henkersknechte herum, bis der Ketzer Jan Hus endlich zu Asche zerfallen war.

Jan Hus wollte eigentlich nur die Kirche reformieren. Sein Tod löste jedoch einen Volksaufstand aus. Es brauchte über zwanzig Jahre, bis die Hussiten in Böhmen unterworfen waren.

Die hussitische Reformation vollzog sich an der Schnittstelle von weltlicher und geistiger Macht. Das Papsttum war Ende des 14. Jahrhunderts in der Krise. Französischer und italienischer Klerus standen sich schroff gegenüber, unterstützt vom französischen Königshaus beziehungsweise vom italienischen Bürgertum. Mit dem Grossen Abendländischen Schisma von 1378 erhoben drei Päpste Anspruch auf den Heiligen Stuhl. Deutschland stand mehrheitlich, zusammen mit Schottland und Ungarn, hinter der Römer Fraktion; Frankreich, England und Spanien unterstützten den Gegenpapst in Avignon. Die Schwächung der geistlichen stärkte die weltliche Macht. Jeder europäische Herrscher konnte sich für den Gehorsam gegenüber dem einen oder anderen Papst eine Ausdehnung seiner Zuständigkeiten erpressen.

Die weltliche Verstrickung bestätigte die laut gewordene innerkirchliche Kritik. Bereits 1368 verkündete der englische Theologe John Wyclif (1330–1384), man müsse zu einem urtümlichen Christentum zurückkehren. Das direkte geistige Verhältnis zu Gott widerspreche dem Machtanspruch des Papstes. Zugleich sprach er sich für eine Unterordnung der Kirche unter den Staat aus, ja rechtfertigte als Berater der englischen Regenten deren Gottesgnadentum. Dennoch befeuerte seine Kritik an den Missbräuchen der Kirche die englische Bauernrevolte von 1381 unter der Führung von Wat Tyler; diese wurde blutig erstickt, während Wyclifs religiöse Anhänger, die Lollarden, nach dessen Tod als Häretiker verfolgt wurden.

Der 1370 in einem südböhmischen Dorf geborene Jan Hus wurde spät, mit dreissig Jahren, in Prag zum Priester geweiht und begann 1402 in tschechischer Sprache zu predigen. Damit richtete er sich sowohl gegen das Lateindogma der Kirche wie gegen die deutsche Oberschicht in Böhmen. Von Wyclif beeinflusst, prangerte er Unzucht und Völlerei der «fetten Mönche des Herrn» an, wandte sich gegen den kommerziell ausgebeuteten Wunderglauben und das Verschachern von kirchlichen Ämtern und Pfründen.

Da die religiösen Wirren auch seinen Machtbereich bedrohten, erzwang der römisch-deutsche König Sigismund auf Ende 1414 die Einberufung eines Konzils nach Konstanz. Um wieder eine einheitliche Kirche herzustellen, mussten nicht nur die drei Päpste abgesetzt und ein Kompromisskandidat installiert, sondern auch die Armen- und Gleichheitsprediger ausgeschaltet werden. Also wurde John Wyclif am 4. Mai 1415 posthum zum Ketzer erklärt. Jan Hus, der nach Konstanz reiste, nachdem ihm Sigismund freies Geleit zugesichert hatte, wurde verhaftet und zum Feuertod verurteilt. Sigismund zeigte sich vordergründig erzürnt über den Bruch seines Schutzbriefs, trieb aber im Hintergrund die Verurteilung voran.

Hus wollte die Kirche verändern; in seiner Theologie blieb er aber eher konservativ. In der gesellschaftlichen Krise wurde er jedoch zum Katalysator einer nationalen und sozialen Protestbewegung. Angesichts der Unterdrückung des böhmischen Kleinadels und des städtischen Bürgertums durch König Wenzel stürmten Hussiten am 30. Juli 1419 das Prager Rathaus und warfen zehn Magistraten aus den Fenstern. Im Frühling 1420 sanktionierte der Papst einen Kreuzzug gegen die böhmischen Ketzer, die durch bäuerliche Scharen unterstützt wurden und mittels Wagenburgen eine neue Kriegstaktik entwickelten. Die Hussitenkriege endeten erst 1436 mit der Unterwerfung des radikalen Flügels der Bewegung.