Privatsphäre: Datensammeln in der Smart City

Nr. 48 –

Fakten statt Polemik: Eine Ausstellung im Zürcher Stadthaus handelt von der Privatsphäre. Was verstehen wir heute darunter, was wurde früher darunter verstanden? Und: Wie verschiebt die Digitalisierung die Grenzen des Privaten?

Wer war wann genau wo? Per Handy mietbare Velos hinterlassen eine breite Datenspur. Foto: Sarah Genner

Ein Besucher sitzt auf einer Bank und scrollt durch Instagram. Eine andere Besucherin fotografiert und googelt. Wenn man diese Szenen nach einem Ausstellungsrundgang beobachtet, denkt man unwillkürlich: Habt ihr denn nichts gelernt? Im Gästebuch zur Ausstellung «Privatsphäre – geschützt, geteilt, verkauft» liest man immer wieder ein Wort: «beängstigend». Die Eindrücke anderer BesucherInnen decken sich mit dem eigenen Unwohlsein.

Ja, diese Ausstellung kann beängstigen. Und das gleich bei der ersten Station. Dort werden Informationen an die Wand projiziert wie: «Bei den SBB sind 15 000 Überwachungskameras in Betrieb.» Oder: «2 800 000 SchweizerInnen benutzen eine Cumulus-Karte. Man malt sich aus, wie oft man schon von Kameras verfolgt wurde, und fragt sich, welche Bereiche unseres Lebens statistisch nicht erfasst werden.

Die aufgeworfenen Fragen kreisen alle um den einen, zentralen Punkt: Was ist Privatsphäre? Wie wichtig ist sie uns? Und: Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf das Private, wo werden Grenzen verschoben oder gar eingerissen?

Wer telefoniert mit wem?

Der nächste Posten schafft es nicht wirklich, die aufgekommenen Überwachungsängste zu lindern. Es geht um Standorttracking, um die Spuren, die wir im Internet hinterlassen. Eine Infotafel erzählt vom Bundesgesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, das Telefon- und Internetanbieter in der Schweiz verpflichtet, das Kommunikationsverhalten ihrer KundInnen sechs Monate lang zu speichern. Dieses Vorgehen soll dazu dienen, potenzielle StraftäterInnen ausfindig zu machen. Die Anbieter speichern die Informationen, wer wo und mit wem telefoniert, wer wo im Internet surft. Die Behörden können sich so rückblickend ein ziemlich genaues Bild davon machen, wo sich eine Person zu einer bestimmten Zeit aufgehalten hat. Wenn es ums Datensammeln und -verwerten geht, ist der Staat natürlich nicht der einzige Player. Daten sind die kostbarsten Rohstoffe des 21. Jahrhunderts. Unter den Top fünf der weltweit grössten börsennotierten Unternehmen sind vier, die ihr Geld zu einem grossen Teil mit dem Anhäufen und Weiterverkaufen von Daten machen: Alphabet Inc. (mit Google als wichtigstem Tochterunternehmen), Amazon, Facebook und Microsoft.

Von den Milliardenumsätzen zur Lokalpolitik. Zürich will wie viele andere Städte zur schlauen Stadt werden, zur sogenannten Smart City – durch Digitalisierung. Doch ist das wirklich nur Lokalpolitik? Die digitale Infrastruktur, die die Stadt braucht, wird dann wohl auch von den «Grossen», von Google und Co., bereitgestellt werden. «Chancengleichheit und eine hohe Lebensqualität für alle» würden zum Ziel, heisst es im Strategiepapier der Stadt zur Smart City. Gleichzeitig soll Zürich effizienter und ressourcenschonender funktionieren – und ein innovativer Wirtschaftsstandort bleiben.

Problematisch, nicht progressiv

Um all diese Ziele zu erreichen, will man Daten der StadtbewohnerInnen verwenden und verwerten, etwa Informationen über ihr Mobilitätsverhalten: Wenn in jedem Fahrzeug, das in der Stadt unterwegs ist, Sensoren eingebaut sind, die laufend Informationen über den Standort oder die Fahrweise an einen Zentralrechner senden, kann der Verkehr nach Algorithmen geregelt werden. Das verbessert die Sicherheit, führt aber eben auch zu höherer Überwachung.

Die Ausstellung liefert vor allem Fakten, aber es kommen auch kritische Stimmen zu Wort. Etwa wenn es um Algorithmen der Kriminalitätsprävention geht. Auf einer Infotafel steht «digitale Früherkennung»: StraftäterInnen sollen schon erkannt werden, bevor sie eine Straftat verüben. Was progressiv klingt, ist hochproblematisch: In einem Stadtviertel, in dem laut Algorithmus statistisch mehr potenzielle StraftäterInnen wohnen, werden häufiger präventive Polizeikontrollen durchgeführt. Das führt wiederum dazu, dass dort effektiv mehr Straftaten geahndet werden – schlicht, weil dort mehr Polizei vor Ort ist.

Schlaue Städte, Gesichtserkennung, Datensammeln – alles Ideen, die nicht erst mit der Digitalisierung aufkamen. Auch Eingriffe in die Privatsphäre der BürgerInnen gab es schon vorher, wie der Blick der Ausstellung in die jüngere Schweizer Geschichte zeigt: Bis in die späten siebziger Jahre führte die Stadtpolizei Zürich ein Homosexuellenregister, auch die Fichenaffäre war jahrzehntelang eine rein analoge Überwachungsaktion.

Die historische Perspektive zeigt zudem, dass immer auch eine weitere Frage im Raum steht: Wer kann sich Privatsphäre überhaupt leisten? Während sich im aufkommenden Bürgertum die Sphären in öffentlich und privat trennten, in Cafés und öffentlichen Orten debattiert wurde und sich zu Hause das bürgerliche Familienideal entwickelte, lebten ArbeiterInnen eine ganz andere Realität der Privatsphäre. Nicht selten wurde in einem einzigen Raum gewohnt, geschlafen, gegessen, gearbeitet.

Und heute? Arme und Reiche besitzen Facebook-Accounts. Und doch wischt der digitale Wandel Klassenunterschiede nicht weg, er verschleiert sie höchstens. Smart Cities, man ahnt es, werden vor allem gut ausgebildeten und gut verdienenden technikaffinen BürgerInnen gerecht.

«Privatsphäre – geschützt, geteilt, verkauft» im Stadthaus Zürich. Bis 29. Februar 2020. Montag bis Freitag 8 bis 18 Uhr, Samstag 8 bis 12 Uhr. Eintritt frei.