Durch den Monat mit Daniel Marti (Teil 1): Warum im Wald kriechen?
Förster Marti, wieso soll uns Forstwirtschaft interessieren?
Weil der Wald nicht mehr verstanden wird.
Es gibt doch ein neues Naturbewusstsein.
Im Gegenteil. StadtbewohnerInnen kennen sich in der Natur nicht mehr aus. Gerade hier am Üetliberg. Es ist unglaublich, was sich da alles tummelt auf der Suche nach Erholung. Aber die Menschen haben heute ein ganz seltsames Naturverständnis.
In welchem Sinn?
Sie brauchen nichts mehr vom Wald. Holz wird als Fertigprodukt aus Skandinavien oder Osteuropa importiert.
Und den Weg vom Baum zum Stuhl versteht niemand mehr.
Eben, und so hat die Forstwirtschaft einen schlechten Ruf bekommen. Wenn ich in der Stadt einen Baum fällen muss, beschimpfen mich die Leute und rufen mir «Baummörder» nach!
Die Leute wollen die Natur vor dem Menschen retten.
Aber wie denn? Sie trennen einfach scharf: Hier die Natur – friedlich und schön, in der Luchse und Rehlein rumspringen dürfen. Und dort ist der Mensch, die Stadt, die Industrie. Dort ist es böse und stressig, man muss morgens früh aufstehen und arbeiten gehen.
So ist es doch!
Wir gehören doch auch zur Natur! Und die Natur liefert weiterhin alle Ressourcen, auf die wir angewiesen sind. Das verstehen die Leute nicht mehr.
Was machen Sie, wenn Sie keine Bäume fällen?
Seit ich freiberuflich als Förster arbeite, führe ich auch Laien in den Wald – ich veranstalte Tierspurenkurse oder Lern- und Kochkurse zu essbaren Wildpflanzen.
Ist das nötig?
Ein Gefühl für die Natur gewinnt man am ehesten, wenn man gemeinsam auf dem Waldboden herumkriecht.
Und seit wann kriechen Sie selbst im Wald herum?
Seit ich meine erste Lehre als Mühlebauer abgeschlossen habe. Das war ein Industrieberuf. Man baut im stillen Kämmerlein Mühle um Mühle.
Aber da hat man ja auch mit der Natur, mit dem Korn, zu tun?
Nein, du baust nur die Maschine, und das hat rein gar nichts mit Lebendigem zu tun. Danach habe ich viel draussen gearbeitet. Ich war auf der Alp, war Bademeister, habe als Schreiner gearbeitet. Und dann mit 23 habe ich eine Lehre als Forstwart gemacht. Im Wald wird nachhaltig produziert: Wir leben von der Natur, ohne sie zu zerstören.
Man produziert aber doch nicht?
Nicht so, wie man es sich in der Industrie vorstellt. Du hilfst der Natur, das zu machen, was du am Schluss willst. Nämlich Holz zum Bauen. Oder hier im Üetlibergwald einen Wald zum Spazieren.
Wie geht es denn heute dem Wald?
Das ist sehr schwierig zu sagen. In den achtziger Jahren dachte man ja, der Wald stirbt. Dann kamen Luftreinhaltemassnahmen, und die haben offenbar genutzt. Obwohl es immer noch Leute gibt, die behaupten, das sei reiner Ökoterror gewesen. Sie sollten mal nach Ostdeutschland, dort stirbt der Wald tatsächlich.
Und in der Schweiz?
Es gibt viele verschiedene Zeichen, aber sie sind sehr diffus. Nach dem Sturm Lothar fand man heraus, dass dort, wo der Boden sauer war, viel mehr Bäume entwurzelt wurden.
Aber der Wald scheint gesund?
Man sieht es den Bäumen vielleicht weniger an. Eichen beispielsweise, die immer als sturmfest galten, machen heute viel kleinere Wurzeln. Weil sie zu viel Stickstoff durch die Luft einnehmen. Pro Jahr so viel, dass es einer Volldüngung auf einem Feld entspricht. Und der saure Boden ist immer noch ein Problem.
Nur reagiert niemand mehr darauf.
Ja, denn der Wald ist nicht gestorben. Der Beweis, dass die Welt untergeht, hat gefehlt. Die Situation bleibt trotzdem beunruhigend – aber selbst Wissenschaftler sind sich über die Auswirkung der Luftverschmutzung nicht einig. Bei Extremereignissen merkt mans dann wieder. Als im Hitzesommer 2003 die Bäume schon im Juli ihr Laub verloren haben, beispielsweise.
Und dann kommt ein normaler Sommer, und alles ist vergessen.
Die Bäume sind wieder grün. In der
Natur läuft alles so langsam, so langsam kann man heute gar nicht mehr denken.
Daniel Marti, 32, war Mühlebauer, Bademeister, WOZ-Strassenverkäufer und ist heute Förster. In stadtnahen Wäldern wie auf dem Üetliberg trifft er auch auf Menschen, die ihm ab und zu «Baum-mörder» nachrufen, wenn er einen Baum fällt.