Durch den Monat mit Andrea Barnetta (Teil 1): Zu viel Rummel?
WOZ: Geburtsort: Rotmonten. Das steht im Panini-Album unter dem Namen Tranquillo Barnetta. Ein St. Galler Quartier gelangt zu Ruhm ...
Andrea Barnetta: Dabei ist Tranquillo im Quartier Notkersegg geboren und aufgewachsen. Auf dem kleinen Fussballplatz um die Ecke hat er seine ersten Gehversuche als Fussballer gemacht. Es hätte Notkersegg heissen müssen.
Wie kamen die Panini-Macher auf Rotmonten?
Das war sein erster Fussballklub. Ich wurde mit sechzehn schwanger und lebte noch bei meinen Eltern in Rotmonten. Dort kam Tranquillos älterer Bruder Alessandro zur Welt. Mit vier Jahren spielte er bereits beim FC Rotmonten. Das blieb auch so, als wir das Quartier wechselten. Als Tranquillo alt genug war, nahm Alessandro ihn mit. Ich erinnere mich noch gut: Der Ältere sagte immer: «Der Kleine kommt mit.» Für beide gab es schnell nichts anderes als Fussball. Vor allem Alessandro wollte als Junge ein Profi werden.
Spielt er heute noch?
Er spielt beim SC Brühl in der 2. Liga interregional. Sein Hauptaugenmerk liegt aber auf seinem ETH-Studium.
Die Brühler haben im Mai ihr saniertes Stadion neu eröffnet. Sie benannten es nach dem ehemaligen St. Galler Polizeikommandanten Paul Grüninger, der im Zweiten Weltkrieg jüdische Flüchtlinge rettete.
Ich finde es sehr beeindruckend, was Grüninger getan hat. Und ich finde es wunderbar, dass man ihn – als ehemaligen Präsidenten des SC Brühl – auf diese Weise würdigte, nachdem man ihm zuerst den Rücken gekehrt hatte. Wir waren an der Eröffnung. Tranquillo machte den Promi-Ankick.
Sie sind umgeben von Fussball.
Das stimmt. Alle in meiner Familie spielen oder spielten Fussball um mich herum: mein Vater, mein Mann, meine Brüder, meine beiden Söhne.
Jetzt ist keiner eifersüchtig auf den Jüngsten?
Nein. Und es wundert mich selbst ein bisschen. Vor allem Alessandro rechne ich das hoch an. Er ist immerhin der ältere Bruder. Alessandro hat ihm sehr viel beigebracht. Ich finde übrigens noch immer: Alessandro ist technisch versierter. Tranquillo ist dafür schneller, und er hat eine enorme Spielintelligenz.
Spielintelligenz – Sie klingen nach einer Expertin.
Eine Expertin bin ich nicht. Aber man lernt einiges, wenn man zwanzig Jahre lang Fussballplätze abklappert.
Heute gilt ihr 21-jähriger Sohn als grosses Talent. Köbi Kuhn sagt, er könne es in eine der besten zehn Mannschaften der Welt schaffen. Sie wollen im Rahmen dieses Interviews nicht fotografiert werden. Ist der Rummel schon so gross?
Es ist ein ziemlicher Rummel, der zunimmt. Natürlich betrifft das in erster Linie Tranquillo. In Deutschland ist es besser: Er wohnt in Köln und spielt bei Leverkusen. Das interessiert in Köln niemanden. Ich selbst möchte einfach mein Leben nicht verändern müssen. Wir leben seit zwanzig Jahren im selben Block. Wir leben relativ bescheiden, ich kaufe an unspektakulären Orten ein. Ich trage kein Gucci. Ich möchte das nicht missen. Die Mutter eines anderen Nationalspielers kaufte unter anderem in Caritas-Läden ein. Plötzlich wurde ihr vorgeworfen: Was kaufen Sie hier ein? Sie sind doch jetzt reich! Ich möchte keine solchen Erfahrungen machen.
Sind Sie reich?
Ich? Ich bin ja nicht die Fussballerin! Mein Vater war Maschinensetzer beim «St. Galler Tagblatt», mein Schwiegervater war Hausabwart im Schulhaus Rotmonten. Seit sechs Jahren arbeite ich in unserem eigenen Geschäft – Grossküchen und Speisenverteilsysteme. Ich bin für die Buchhaltung zuständig. Nach meinem Schulabschluss war ich zwanzig Jahre lang Hausfrau und Mutter. Ich mochte das. Ich habe mich gerne um die Kinder gekümmert, vom Sandkasten bis zum Schulabschluss. Ich fand das wichtig, dass jemand zu Hause ist, wenn die Kinder heim kommen.
Plötzlich war der Jüngste weg – neunzehnjährig in Deutschland
Köln ist ja nicht weit. Wir sehen uns oft. Da wir schon immer die Spiele unserer Söhne verfolgt haben, pendeln wir auch heute oft zwischen St. Gallen und Köln. Und da Tranquillos Freundin hier in St. Gallen wohnt – übrigens im Nachbarhaus – kommt er so oft als nur möglich nach Hause.
Das gucken Sie sich alles an?
Wir besuchen auch regelmässig Alessandros Spiele mit dem SC Brühl. Das war schon immer so. Ich kenne fast alle Plätze in der Ostschweiz. Und viele mehr.
Sie haben ein enges Verhältnis.
Wir sind uns als Familie sehr verbunden. Denken Sie jetzt nicht, wir zwei Alten hätten Mühe, unsere Kinder ziehen zu lassen. Diese Verbundenheit funktioniert auch umgekehrt: Wenn Tranquillo in die Schweiz kommt, dann kommt er pünktlich zum Spielanpfiff des SC Brühl.
Andrea Barnetta, 43, Buchhalterin lebt in St. Gallen. Der erste WM-Einsatz ihres Sohnes ist am 13. Juni in Stuttgart. Dann spielt die Schweiz gegen Frankreich.