Durch den Monat mit Andrea Barnetta (Teil 5): Erholung nötig?

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WOZ: Ihr Sohn Tranquillo ist zurück?
Andrea Barnetta: Wir sind am Dienstag von Köln nach Kloten gefahren und haben ihn abgeholt. Er ist zurück und ziemlich erschöpft.

Gegen Togo schoss er das entscheidende Tor. Gegen die Ukraine setzte er einen Penalty an die Latte. Was überwiegt, Freude oder Enttäuschung?
Ich denke, das sind gemischte Gefühle. Vor allem, weil sie so nahe dran waren am Einzug ins Viertelfinal. Ganz ausblenden wird das keiner von ihnen können. Ich spüre auch: Es tut ihm weh. Er ist normalerweise ein sicherer Schütze. Ich hatte keine Bedenken, dass der Schuss reingeht. Aber das ist Fussball. Es wäre ja auch seltsam, wenn die Mannschaft jetzt ausschliesslich fröhlich nach Hause gekommen wäre.

Konnten Sie schlafen nach dem aufreibenden Spiel?
Ich konnte sehr gut schlafen. Das hat mich selbst ein wenig erstaunt. Das Ausscheiden hat mich nicht tief getroffen. Ich bin sehr stolz auf die Mannschaft. In der Qualifikation war ich immer wahnsinnig nervös. Ich dachte: Das wäre toll, wenn sie an die WM fahren könnten. In den WM-Gruppenspielen war ich auch sehr nervös. Nach dem Erreichen des Achtelfinals war ich gelöst. Was jetzt noch kommen mag, sagte ich mir, ist Zugabe.

Aber im Viertelfinal hätte Italien gewartet. Tranquillo Barnetta gegen Italien!
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es wäre wunderbar gewesen, wäre es anders gekommen, wenn die Schweiz jetzt im Viertelfinal stehen würde. Doch die Nervosität hat sich bei mir, auch beim Penaltyschiessen, wirklich in Grenzen gehalten. Ich war auf Grümpelturnieren schon nervöser. Ich hatte auch grosses Vertrauen. Ich dachte: Die schaffen das. Die gewinnen. Als sie es dann nicht schafften, war das jedoch kein Schock. Ich bin nicht schwermütig aus Deutschland zurückgekommen. Das Erreichte überwiegt. Penaltyschiessen ist eine Lotterie. Diese Mannschaft hat doch grosses Potenzial.

Mögen Sie jetzt noch WM gucken?
Auf jeden Fall. Die WM interessiert mich sehr. Ich glaube, Deutschland kommt weit. Diese beiden Stürmer, Klose und Podolski, die sind wahnsinnig gut. Ich bin positiv überrascht vom Spiel dieser Mannschaft. Anders als andere Favoriten wirbeln sie, spielen unterhaltsam. Müsste ich wetten, würde ich sagen: Deutschland holt den Titel.

Und Tranquillo erholt sich währenddessen in St. Gallen.
Ja, zum Teil. Er wird auch noch in die Ferien reisen.

Und Sie? Haben Sie nicht auch Erholung nötig?
Ich bin tatsächlich todmüde. Das merke ich erst jetzt. Ich bin normalerweise ein morgenaktiver Mensch. Ich mag kaum aufstehen. Ist es nur das Wetter? Oder sind es doch die WM-Strapazen? Das Reisen? Die Anspannung?

Wie erholen Sie sich?
Wir haben es hier in St. Gallen, im Quartier Notkersegg mit Nähe zum Appenzellerland, sehr idyllisch.

Ich fühle mich verbunden mit der Natur. Wir haben ein Meiensäss gemietet in Hundwil. Dort sind wir übrigens auch jede Weihnacht, die ganze Familie, kein Strom, kein Wasser. Wir sagen dann: Wenn uns jetzt einer sehen würde!

Ein gutes Umfeld. Das scheint Ihnen sehr wichtig zu sein.
Das stimmt. Es ist mir sehr wichtig, mit den Nachbarn gut auszukommen und in einem angenehmen Quartier zu leben. Das ist mir wichtiger als ein schönes, grosses Haus irgendwo, wo ich mich nicht wohl fühle.

Apropos Umfeld: Sie wollten sich – wegen des Rummels – nicht fotografieren lassen. Nun hat Sie zum Schluss dieser Interviewserie Ihr ehemaliger Nachbar, der Comiczeichner Manuel Stahlberger, gezeichnet. Zufrieden?

Ja. Ich habe auch tatsächlich so viele Sommersprossen – rote Haare und Sommersprossen. Stahlbergers Eltern wohnen gleich um die Ecke. Ich erinnere mich: Ich besuchte mit meinen Kindern den ersten Auftritt Stahlbergers mit seinem ehemaligen Kabarettduo Mölä und Stahli. Seine Betrachtungen der Stadt St. Gallen mit der Comicfigur Herr Mäder sind herrlich. Er beobachtet den Alltag in unserer Stadt sehr genau. Und ich finde das wichtig, dass man im Alltag hinschaut. Dass man zueinander schaut.

Wo schauen Sie hin?
Mir sind Tiere wichtig. Wir hatten Nachbarn, die hielten ihre Haustiere grausam. Die Tiere lebten im Dreck. Ich drohte den Tierschutz einzuschalten.

Und dann?
Die Geschichte endete damit, dass die Tiere ein neues Zuhause brauchten. Sie landeten bei uns. Die gehören jetzt zur Familie. Heute haben wir fünf Hasen und zwei Katzen. Bei Tieren bin ich sowieso sehr sensibel. Wenn man mit Tieren oder Kindern, ach, wenn man einfach allgemein mit anderen schlecht umgeht, das geht mir nahe. Da kann ich dann nicht einfach meine Augen schliessen. Wenn Sie mich also nach Erholung fragen: Ich bin froh, wieder hier im Grünen zu sein bei meinen Tieren. Und damit wir den Fussballbezug nicht verlieren: Den Stall im Freilandgehege der Hasen hat Tranquillo gebaut, zusammen mit Bruder Alessandro und seinem Vater.