Durch den Monat mit Andrea Barnetta (Teil 3): Also kein Sieg?

Nr. 24 –

WOZ: Das war knapp. Ihr Sohn traf mit einem Freistoss aus 25 Metern den Pfosten ...
Andrea Barnetta: Was für ein Moment! Meine Nerven! Ich hielt es nicht mehr auf meinem Sitz aus.

War das ein guter Auftakt?
Ich denke schon. Frankreich war Favorit. In den ersten fünfzehn Minuten schien die Schweizer Mannschaft ein wenig unkonzentriert zu sein. Das verflog dann. Und es war ja unglaublich heiss im Stadion. Jetzt habe ich ein gutes Gefühl. Die WM läuft. Mit dem ersten Spiel verfliegt wohl auch die Nervosität. Als ich meinen Sohn vor dem Spiel im Hotel besuchte, merkte ich, dass er sehr angespannt war. Alle waren wohl froh, dass es endlich losgeht.

Wie war die Stimmung in der Stadt?
Wir kamen am Mittag in Stuttgart an. Die Schweizer Fans waren deutlich in der Mehrzahl. Es herrschte eine grosse Euphorie. Mich beeindruckt die Stimmung in deutschen Stadien sowieso immer wieder. Nicht nur jetzt an der WM. Am meisten beeindruckte mich ein Besuch in Gelsenkirchen, als Tranquillo mit seinem Verein Bayer Leverkusen gegen Schalke 04 spielte. Das Stadion ist ein Kessel. Die Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet ist hoch. Viele Menschen dort haben nicht sehr viel, aber die würden den letzten Rappen für ihren Verein geben. Das hat mich berührt. Die WM ist natürlich ein anderer Anlass. Die Tickets sind teurer, nicht jeder kommt an sie ran.

Entwicklungen des modernen Fussballs ...
Glauben Sie mir, ich habe Mühe damit, um wie viel Geld es heute im Fussball geht.

Wie gucken Sie ein Spiel? Den Fokus immer auf Ihrem Sohn?
Ja. Ich glaube, ich schaue neunzig Minuten meinen Bub an. Ich kann das nicht ändern. Ich schaue: Was macht er? Wie spielt er? Kämpft er? Und natürlich bin ich immer wahnsinnig nervös.

Sind Sie kritisch?
Das bin ich schon, natürlich, wenn man so genau hinschaut.

Wie wird man eigentlich Fussballprofi? Alle reden von der Nachwuchsförderung ...
Die ist tatsächlich toll. Das erste Mal wurden die Spieler mit elf, zwölf Jahren in die Ostschweizer Auswahl berufen. Dann ging es in die Eidgenössische Sportschule nach Magglingen. Dort gibt es Tests. Zuerst sind es 60 Kinder, dann 40, dann noch 25. Das war eine spannende Zeit. Andauernd kamen Briefe, ob Tranquillo noch dabei sei oder nicht. Er blieb drin bis zum Schluss.

Und dann wurde er mit der U17-Nationalmannschaft Europameister.
So schnell ging das nicht. Am meisten beeindruckt hat mich das Mentaltraining. Irgendwann mussten sie reiten - ohne Sattel. Und das, ohne jemals vorher geritten zu sein.

Warum?
Das gehörte zum Mentaltraining. Die Angst verlieren.

Ihr Sohn ist heute ein gefragter Werbeträger. Er ist Botschafter für fairen Handel und für Max-Havelaar-Bananen, macht Werbung für Sportbekleidung, für das Nichtrauchen und für Hamburger.
So schnell geht das. Er ist tatsächlich sehr gefragt zurzeit. Ich bin in diese Sachen nicht sonderlich involviert. Mein Mann organisiert das in Rücksprache mit Tranquillo.

Sie leben in einem Fussballumfeld. Welcher ist Ihr Lieblingsklub?
Der FC St. Gallen. Schon als kleines Mädchen stand ich auf den Zuschauerrängen des Espenmoos. Das ist mein Herzensklub. Natürlich fiebere ich heute auch mit Bayer Leverkusen. Das hat nicht nur mit meinem Sohn zu tun: In Leverkusen wurden wir als Eltern eines Spielers warm empfangen. Wenn ich irgendwelche Ballermann-Vorurteile gegenüber Deutschen hatte, dann habe ich die jetzt nicht mehr.

Rudi Völler ist dort Sportdirektor. Haben Sie ihn kennen gelernt?
Ja. Er war sehr freundlich.

Auf immer Leverkusen?
Das klingt dramatisch! Wie gesagt: St. Gallen ist mein Herzensklub. Und nicht nur meiner. Tranquillo sagt das ja auch in Interviews: Wenn ich in die Schweiz zurückkomme, dann zum FC St. Gallen.

Als Nächstes steht aber ein Kantersieg gegen Togo an!
Ui, ui, ui, diese Einstellung! Beim Frankreich-Spiel hatte die Mannschaft einen Vorteil: Sie waren trotz allem der Aussenseiter. Togo ist gegenüber der Schweiz im Vorteil, weil niemand wirklich an sie glaubt. Glauben Sie, wir vernaschen Togo mit links zum Zvieri? Wollen Sie da darauf wetten?

Na ja ...
Ich rate es Ihnen nicht. Das ist gefährlich. «Es kann nicht schief gehen», heisst nicht mehr als: «Es kann schief gehen.»

Also kein Sieg?
Das habe ich nicht gesagt.

Andrea Barnetta, 43, lebt in St. Gallen. Sie ist bei allen Spielen mit Schweizer Beteiligung im Stadion mit dabei und lässt sich nicht fotografieren.