Durch den Monat mit Anna Frey (Teil 4): Wollen Sie provozieren?

Nr. 39 –

Anna Frey: «Ich will mein Zeug machen, rücksichtslos und brutal.»

WOZ: Können Sie schon etwas über Ihr nächstes Album sagen?
Anna Frey: Es wird natürlich grossartig werden – wann und wie ist aber noch offen. Ich fände es super, etwas mit meiner Band zu machen. Ein paar neue Songskizzen haben wir schon.

Wann wird es so weit sein?
Ich lasse es mal auf mich zukommen. Aber es wäre cool, wenn das Album nächstes Jahr im Frühling erscheinen würde.

Zwischen Ihrer ersten CD und dem aktuellen Album lagen drei Jahre. Warum haben Sie sich so lange Zeit gelassen?
Weil ich zur Schule gegangen bin. Ich wollte nach der ersten CD eigentlich gleich noch eine zweite anhängen. Aber es ist ziemlich hart, wenn man irgendwo in Arosa ein Konzert gibt und am nächsten Tag eine Matheprüfung schreiben muss. Ich konnte nicht so gut zwischen den zwei Welten switchen.

Haben Sie weitere Ausbildungspläne? Sie haben die Maturaprüfung ja letztes Jahr bestanden.
Ich würde gerne eine Regieschule machen. Ich habe mich da mal umgeschaut, vielleicht gehe ich nach Wien. Ich will sicher aus der Schweiz raus. Aber eben, ich würde gerne noch das Album rausgeben, bevor ich etwas Neues anfange. Vielleicht geht es ja noch ein Jahr, bis ich mich wieder in ein geordnetes Schulleben einfüge. Mal schauen.

Was wollen Sie als Regisseurin machen? Filme? Theaterstücke?
Mich interessiert so vieles. Musik, Sprache, Bilder. Die Form ist mir eigentlich nicht so wichtig. Ich will mir einfach möglichst viel Handwerk aneignen, damit ich uneingeschränkt arbeiten kann. Ich will mein Zeug machen, rücksichtslos und brutal.

Was wollen Sie bei Ihrem Publikum bewirken?
Ich will verbinden, glaube ich. Das Schönste, was ich mir vorstellen könnte, wäre, dass die Leute betroffen sind, dass sie berührt sind. Dass sie sich geborgen, unterstützt oder verstanden fühlen – oder auch verwirrt sind. Einfach, dass es echt ist.

Wollen Sie auch provozieren und aufrütteln?
Wenn du etwas gut machst, stellt sich das automatisch ein. Wenn du es schaffst, zum Kern vorzudringen, dann sind die Leute automatisch provoziert und aufgerüttelt. Nur von der Provokation auszugehen, ist zu einfach.

Wie meinen Sie das?
Ich meine, wenn du Pornobilder neben Bildern verstümmelter Kriegsopfer aufhängst, dann sind die Leute provoziert und schockiert. Vielleicht auch nicht, die Bilder sind ja eh überall. Vielleicht werden ein paar Zeitungsartikel darüber geschrieben. Aber ich finde das belanglos, ich finde das langweilig. Ich glaube, Provokation findet heutzutage an einem ganz anderen Ort statt. Aus der Ruhe heraus.

Wie kann man heute überhaupt noch provozieren?
In dem ganzen Lärm und in dieser ganzen Flut, in der wir leben, ist Stille und Ruhe vielleicht viel provokativer und aufrüttelnder für die Menschen als noch mehr Lärm. Oder wenn ich an den Journalismus denke: Eine extrem gut recherchierte Reportage kann viel provokativer sein als ein polemischer, subjektiv eingefärbter Kommentar. Ich rede nicht davon, dass man keine Stellung bezieht. Aber die Grenzen haben sich verschoben. Wer gehört heute zu den Guten, wer zu den Bösen? Ich glaube, es geht im Moment auch nicht einfach darum, wer gut und wer böse ist. Sondern in erster Linie darum, was ist. Irgendwie so.

Sie arbeiten zurzeit als Regieassistentin bei einer Theaterproduktion – was lernen Sie da?
Wir arbeiten oft mit Improvisationen, da merkst du schnell, was funktioniert und was nicht. Die Prozesse im Theater sind am Ende die gleichen wie die in der Musik, wenn sich eine Idee herausschält. Es gibt dabei alles zu gewinnen und alles zu verlieren. Manchmal entscheidet es sich um Haaresbreite, ob ein Lied – oder eben eine Theaterszene – etwas taugt oder eben nicht. Sobald man sich auf irgendeine Sicherheit stützen will, wird es Scheisse.

Das klingt ziemlich anstrengend. Wird man in so einem Schaffensprozess nicht zum Arbeitstier?
Ja, natürlich. Aber ich will auch nicht andauernd alles für meine Arbeit verwerten. Ich will auch einfach verliebt sein können oder jemanden blöd finden, einfach so. Wenn man das Leben in eine Kunstform umwandelt, geht man immer einen Schritt zurück und schaut es sich aus der Distanz an. Das heisst, du entfernst dich zu einem gewissen Grad aus dem Leben und gehst einen Schritt auf den Tod zu.

Anna Frey (22) ist eine Zürcher Rapperin. Könnte sie sich einen Duettpartner aussuchen, wäre es der kanadische MC Buck 65, «der beste Rapper, den es 
auf der Welt gibt». Eine Anfrage steht allerdings noch aus.