Durch den Monat mit Andrea Arezina (Teil 1): Wie viel verdienen Sie?
WOZ: Letzte Woche erschien die Ethos-Studie zu den «Vergütungen der Führungsinstanzen»: Daniel Vasella verdiente 2008 bei Novartis weiterhin vierzig Millionen Franken, Peter Brabeck bei Nestlé fünfzehn Millionen, Norbert Platt bei Richemont zwölf Millionen ...
Andrea Arezina: Auch wenn wir die Krise nicht hätten – das ist überrissen! Es kann sein, dass jemand zweimal mehr leistet oder dass jemand fünfmal mehr Verantwortung übernimmt. Aber kein Normalsterblicher arbeitet 720-mal mehr als ein anderer.
So viel beträgt das Verhältnis vom tiefsten Novartis-Lohn zum Vasella-Lohn?
Ja, und dann muss man noch sehen, wie viel die ausgelagert haben: beispielsweise das Putzpersonal. Würde man deren Löhne auch mit einrechnen, so wäre das Verhältnis sicher im vierstelligen Bereich.
Wie setzt sich ein Spitzensalär zusammen?
Der Fixlohn ist der kleinere Teil. Der weitaus grössere sind Gewinn- oder Firmenbeteiligungen, also Boni oder Aktien. Hier liegt auch die Verbindung von den Löhnen zur Krise: Wer kurzfristig am meisten Gewinn erwirtschaftete, erhielt auch den höchsten Lohn. Und es läuft genau gleich weiter. Die UBS hat schon wieder Boni angekündigt.
Nächste Woche lanciert die Juso die 1:12-Initiative. Was ist deren Forderung?
Dass sich der tiefste und der höchste Lohn in einem Unternehmen nicht um mehr als den Faktor zwölf unterscheiden.
Wie sind Sie auf den Faktor gekommen?
Niemand soll in einem Jahr weniger bekommen als der meistverdienende Manager in einem Monat. Angenommmen, der tiefste Lohn in einem Unternehmen beträgt 3000 Franken pro Monat, dann wäre der Maximallohn nach Annahme unserer Initiative 432 000 Franken im Jahr. So viel verdient ungefähr ein Bundesrat. Ich finde, kein Manager sollte mehr verdienen als die höchsten demokratisch gewählten Volksvertreter.
Als wir eure Initiative heute Morgen auf der Redaktion besprochen haben, wurde es plötzlich laut: Der Vorschlag sei nun doch etwas mutlos. Wir haben auf der WOZ ein Lohnverhältnis von 1:1.
Angesichts der diskutierten Zahlen ist es alles andere als mutlos. Unsere Forderung ist ein guter erster Schritt. Es ist wichtig, das Thema Lohn wieder auf die Strasse zu tragen. Wir wollen eine Diskussion anregen über den Wert der Arbeit. Der Lohn ist doch kein Geheimnis!
Wie viel verdienen Sie?
Als Kampagnemitarbeiterin mit einem Pensum von dreissig Prozent erhalte ich 1200 Franken. Das wären bei einer Vollzeitanstellung 4000 Franken.
Was ist Ihre persönliche Motivation?
Wenig zu verdienen? (lacht)
Nein, dass Sie sich für die Initiative einsetzen?
Ich habe meine Lehre bei einem multinationalen Konzern gemacht und dort noch ein halbes Jahr in der Personalabteilung gearbeitet. Da habe ich mitbekommen, wie ein 55-jähriger Familienvater die Kündigung erhielt, nur weil sich sein Vorgesetzter mehr Businessflüge buchen und sich ein fetteres Büro leisten wollte. Die Personalchefin hat ihm immerhin eine andere Stelle vermittelt. Aber nur aus eigener Überzeugung. Für mich stimmte es danach nicht mehr: Wenn ich irgendwo arbeite, dann will ich hinter dieser Firma stehen können.
Peter Brabeck hat angedroht, Nestlé verlasse die Schweiz, wenn Lohnobergrenzen eingeführt werden.
Die entscheidende Frage ist: Wer sagt in diesem Land, wo es langgeht? Die Bevölkerung mit der Demokratie. Wir sollten uns nicht von einem Dutzend Wirtschaftsbossen vorschreiben lassen, wie wir zu verdienen und zu leben haben.
Wen würde die Initiative überhaupt treffen?
Wir haben das mit Ökonominnen und Ökonomen durchgerechnet. Die 1:12-Initiative würde nicht die KMUs betreffen, sondern die multinationalen Konzerne: UBS, Novartis, Nestlé und so weiter.
Es geht also gegen die Superreichen.
Es geht uns vor allem um die Angestellten, die gerechter entlöhnt werden sollen für das, was sie geleistet haben. Die Initiative legt die Lohnspanne in einem Unternehmen fest: Wenn eine Firma Gewinn macht, dann sollen nicht nur die oben, sondern alle profitieren. Es geht um die Gerechtigkeit.
Wann beginnen Sie mit dem Sammeln der Unterschriften?
Nächsten Dienstag starten wir in Bern, am Mittwoch sind wir in Zürich, am Donnerstag in Lausanne. Natürlich gehen wir nicht einfach mit dem Unterschriftenbogen auf die Strasse, wir sind ja bekannt für unsere provokativen Aktionen. Die Initiative soll zu einer Bewegung werden: Wir Jusos lancieren sie, doch sie ändert, was viele stört.
Andrea Arezina (24) lebt in einer Wohngenossenschaft in der Altstadt von Baden und arbeitet im Kampagneteam der 1:12-Initiative. Nach einer KV-Ausbildung und der Berufsmatura macht sie ein Studium zur Soziokulturellen Animateurin.