Notwohnungen in Zürich: «Was die Stadt macht, ist unappetitlich»

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Um Obdachlosigkeit zu vermeiden, unterhält Zürich Notwohnungen. Nun hat die Stadt die Mieten für diese Wohnungen massiv angehoben. Betroffene, die das nötige Kleingeld nicht haben, werden ans Sozialamt oder an die IV verwiesen.

In Zürich herrscht Wohnungsnot. Das ist nichts Neues. Auch nicht, dass die Mieten kontinuierlich steigen und es sich immer weniger Menschen mit tiefen Einkommen leisten können, weiterhin in der Finanzmetropole zu wohnen. Neu ist aber, dass die Stadt jetzt selber Mieten um Hunderte von Franken erhöht – und das ausgerechnet bei den Notwohnungen. Betroffen sind zu zwei Dritteln Sozialhilfe- oder Rentenbeziehende, zu einem Drittel sogenannte Selbstzahlende – Leute also, die bislang keine staatliche Hilfe in Anspruch genommen haben. Die einfach zu wenig verdienen, als dass sie innerhalb nützlicher Frist in der Stadt eine bezahlbare Wohnung gefunden hätten, und deshalb als Übergangslösung in eine der Notwohnungen ziehen durften.

1900 Franken für drei Zimmer

Diese Wohnungen mietet das Sozial­departement selber an. Dessen Leiter ist der SP-Stadtrat Martin Waser. Wer vorübergehend in einer dieser Wohnungen leben darf, ist also UntermieterIn der Stadt Zürich. Am 28. Oktober 2009 hat der Gesamtstadtrat das neue Reglement über die Notwohnungen verabschiedet und damit die Erhöhung der Tarife. Neu werden für eine Einzimmerwohnung («Ausbaustandard niedrig») 1350 Franken respektive 1400 Franken («Ausbaustandard normal») verlangt, für eine Zweizimmerwohnung 1500 respektive 1600 Franken, eine Dreizimmerwohnung verrechnet die Stadt mit 1800 beziehungsweise 1900 Franken und so weiter.

Das sind Preise, die selbst für das teure Pflaster Zürich hoch sind. Inbegriffen in den neuen Tarifen respektive Mietpreisen sind 500 Franken Betreuungspauschale - für die Stadt ein Betrag, um die Kosten für ihre Umtriebe zu decken, für die Mieterinnen de facto eine obligatorische Dienstleistung.

Die andern machens auch

Darf die Stadt das überhaupt? Rolf Schuppli, Bereichsleiter Wohnen und Obdach, sagt: «Die rechtliche Grundlage bildet der Stadtratsbeschluss vom 28. Oktober 2009, Reglement über die Notwohnungen.» Felicitas Huggenberger vom Mieterverband (MV) bezweifelt aber, dass die Einrechnung der Pauschale in den Mietvertrag legal ist.

Der Stadtrat rechtfertigt das neue Reglement mit besserer ­Kostendeckung und -wahrheit und damit, dass andere Städte es auch so handhaben. Rolf Schuppli nennt Uster und Winterthur. Bei jenen UntermieterInnen, die bereits Sozialhilfe oder andere Leistungen – zum Beispiel eine IV-Rente – beziehen, hat die Stadt die höheren Mietzinse schon per 1. Januar eingeführt – also sehr kurzfristig. Sie seien finanziell nicht persönlich betroffen, weil die höheren Tarife von den Sozialhilfegebenden voll berücksichtigt würden, so der Stadtrat.

Und was passiert mit denen, die arbeiten und ihren Lebensunterhalt bislang selber bestreiten konnten, sich den plötzlich massiv erhöhten Mietpreis für die Notwohnung aber nicht leisten können? «Dieser bereits am Rande des Exis­tenzminimums lebende Kreis», sagt der Stadtrat, muss «sich zum Bezug ergänzender Sozialhilfe bzw. von Zusatzleis­tungen der AHV/IV anmelden. Selbstverständlich werden die Betroffenen dabei von den Betreuungspersonen unterstützt.» Elegant. Man verweist also auch sie einfach an die Sozialhilfe. Rund 2,3 Millionen Franken können die sozialen Einrichtungen insgesamt mehr einnehmen respektive einsparen.

Unfreiwillige Sozialberatung

Der Grossteil dieses Geldes geht dann zwar zulasten einer anderen Dienstabteilung desselben Sozialdepartements, «aber rund eine halbe Million kann die Stadt zusätzlich auf den Kanton Zürich und ausserkantonale Gemeinden abwälzen», sagt Rolf Schuppli. Für die Betroffenen, denen der Gang zum Sozialamt geradezu aufgezwungen wird, ist die neue Regelung weniger elegant. «Es ist unappetitlich, was die Stadt macht», sagt Walter Angst, der beim Mieterverband arbeitet und für die Alternative Lis­te (AL) auch im Gemeinderat sitzt, «du erhältst eine Wohnung, aber musst dafür eine Sozialberatung beziehen und für die musst du auch noch bezahlen, und wenn du sie nicht bezahlen kannst, musst du wiederum zum Sozialamt gehen. Anstatt dass man für diese Leute stabile Wohnverhältnisse schafft, destabilisiert man sie und untergräbt ihre Motivation.» Zusammen mit Rebekka Wyler (SP) will er im Gemeinderat eine Dringliche Anfrage einreichen.

Gemäss Rolf Schuppli sind übrigens vier Fünftel der betroffenen Selbstzahlenden nicht Schweizer Bürger­Innen. Unter ihnen sollen sich auch solche befinden, die sich derzeit um einen Ausländerausweis B bemühen, eine Niederlassungsbewilligung also. Die gibt es aber nur für jene, die nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind.