Steuerabkommen: Interessenpolitik moralisch verpackt
Um das Bankgeheimnis zu retten, hat der Bundesrat mit Deutschland ein Abkommen über eine Abgeltungssteuer ausgehandelt. Das ist pure Interessenpolitik. Dabei bräuchte die Schweiz doch eine ethisch begründete Politik.
Aussenpolitik ist Interessenpolitik. Das heisst, eine Politik des nationalen Schulterschlusses, bei der moralische Überzeugungen von links bis rechts ihre Bedeutung verlieren. Das gilt für alle Staaten. Doch für die kleine Schweiz, die sich einer grossen weiten Welt gegenübersieht, gilt das ganz besonders.
Um das Bankgeheimnis zu retten, hat der Bundesrat mit Deutschland ein Abkommen über eine Abgeltungssteuer ausgehandelt, die auf hierzulande liegende deutsche Gelder erhoben werden soll. Dies, nachdem der verschuldete Nachbarstaat Druck ausgeübt hatte, um endlich an die fast 200 Milliarden Franken deutschen Schwarzgelder zu kommen. Seit jeher buhlt die Schweiz mit tiefen Steuern um Grosskonzerne, im Wissen, dass es in diesem Spiel nur einige wenige Gewinner geben kann. Die damit ausgelöste steuerliche Abwärtsspirale, durch die anderen Staaten Milliarden entgehen, hat wesentlich zu Europas Schuldenkrise beigetragen.
Am Wochenende wurde auch noch bekannt, dass die Bundesanwaltschaft Haftbefehle gegen drei Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen erlassen hat, die 2010 eine CD mit Bankkundendaten der Credit Suisse erworben hatten. Damit hat die Schweiz ihre Verhandlungsposition gestärkt. Denn das Steuerabkommen sieht vor, dass solche Strafuntersuchungen eingestellt würden. Nebst dem Geld hat Deutschland nun ein zusätzliches Interesse, dass der Vertrag zustande kommt – wie der deutsche Botschafter in Bern gegenüber Radio DRS in einem Nebensatz erwähnte.
Auf der Kippe
Dennoch steht der Vertrag im Nachbarstaat auf der Kippe. Die rot-grün regierten Bundesländer drohen, ihn in der parlamentarischen Länderkammer abzulehnen. Aus guten Gründen. Mit der vorgesehenen einmaligen Amnestieabgabe auf bisherige Schwarzgelder kommen langjährige SteuersünderInnen nicht nur äusserst billig weg: Sie werden rechtlich reingewaschen. Gleichzeitig bleiben sie anonym, was im Fall künftiger Änderungen des deutschen Fiskalsystems die Steuererhebung verhindern würde. Zudem bleibt ungewiss, wie viel Geld dem deutschen Fiskus zufliessen würde, da es im Abkommen Schlupflöcher gibt. Und schliesslich torpediert der Steuervertrag europäische und internationale Pläne, durch einen Informationsaustausch der Kapitalflucht einen Riegel zu schieben.
Würde das Abkommen der Schweiz keine Vorteile bringen, hätte sie sich ja mit dem von der EU geforderten automatischen Informationsaustausch einverstanden erklärt. Kein Wunder brach in Deutschland eine Welle der Entrüstung los, als bekannt wurde, dass die Schweiz nun auch noch deutsche Steuerfahnder jagt.
Bundesanwalt Michael Lauber hat strafbare Handlungen, die der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen, zu ahnden. Ob einem die Gesetze nun passen oder nicht. Dennoch hat die Geschichte einen schalen Beigeschmack. Nicht nur, weil Lauber 2008 als Geschäftsführer des Liechtensteinischen Bankenverbands in einer ähnlichen Affäre die Finanzhäuser des Fürstentums gegenüber Nordrhein-Westfalen vertrat – und die Haftbefehle die Schweiz auch politisch stärken. Sondern auch, weil die Schweiz damit die Moral auf ihre Seite hievt, indem sie der anderen Seite deren Verletzung vorwirft.
Das ist absurd. Die Schweiz verteidigt seit Jahren ein Bankgeheimnis, dessen Zweck es ist, sich mit Schwarzgeldern auf Kosten anderer Länder zu bereichern. Und obwohl die bürgerlichen Parteien nun explizit den Schulterschluss zur nationalen Interessenverteidigung verlangen, will man gleichzeitig die Moral auf seiner Seite wissen. Gar empört waren bürgerliche Kreise hierzulande, als der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann 2009 der Schweiz in Sachen Steuerhinterziehung mangelndes Unrechtsbewusstsein vorwarf.
Weshalb die Empörung? Stimmt es etwa nicht? Im besten Fall steckt der naive Glaube des Moralphilosophen Adam Smith dahinter: Handelt jeder Einzelne egoistisch, so wird daraus das Gemeinwohl resultieren.
Der Zeitgeist weht anders
Nun bringt der internationale Druck das Bankgeheimnis ohnehin zum Bröckeln. Nachzugeben sei deshalb vor allem auch im eigenen Interesse, ist unter Bürgerlichen zu hören. Darum hat der Bundesrat kürzlich die Erarbeitung einer Weissgeldstrategie versprochen. Doch warum nicht «Nachzugeben ist im eigenen Interesse, aber vor allem auch ethisch richtig»? Das hiesse, Rechtsstaaten Zugang zu Informationen zu hiesigen Vermögen zu gewähren. Davon würden auch jene Staaten profitieren, die zu schwach sind, um sich mit der Schweiz anzulegen. Griechenland etwa, das seit Monaten auf ein Abkommen mit der Schweiz wartet, oder die Länder des Südens.
Der Zeitgeist scheint jedoch in eine andere Richtung zu wehen. Derzeit werden selbst die letzten Bereiche der Aussenpolitik, die nicht reinen Interessenabwägungen unterliegen, infrage gestellt: Im Parlament gab es kürzlich erste Bestrebungen, die Entwicklungshilfe an die Kooperationswilligkeit einzelner Staaten bei der Rückübernahme von AsylbewerberInnen zu knüpfen. Und der Gewerbeverband fordert, Entwicklungshilfe grundsätzlich an den Zugang zu Rohstoffen zu knüpfen.
Ein kleines reiches Land in ständiger Angst, zu kurz zu kommen.