Managed Care: Die ÄrztInnen und die farbigen Bändeli

Nr. 18 –

Das Konzept von Managed Care bleibt höchst umstritten. Selbst innerhalb bestehender Netzwerke differieren die Positionen scharf. Wollen die BefürworterInnen denn wirklich alle mehr Markt?

Der WOZ-Bericht über die Managed-Care-Vorlage hat Wellen geschlagen. Der Grenchner Hausarzt Martin Walter hatte erklärt, warum er der Managed-Care-Vorlage, über die am 17. Juni abgestimmt wird, kritisch gegenübersteht (siehe WOZ Nr. 15/12 ). Margot Enz Kuhn, Vorstandsmitglied im Verband Hausärzte Schweiz, schickte daraufhin eine aufgewühlte E-Mail an ihren Kollegen, der im selben Netzwerk wie Martin Walter organisiert ist, mit der Bitte, Letzteren zur Räson zu bringen.

Das klang dann so: «Könntest du dich bitte diesem Kerl annehmen! Das geht einfach nicht, wenn sich Netzwerkärzte derart in der Öffentlichkeit zu MC äussern. Es ist sein Recht, dagegen zu sein, aber nicht auf diese Art und Weise. Man sollte in den Netzwerken ein solch ausscherendes Verhalten nicht tolerieren.» Am Telefon sagt Frau Enz Kuhn später sehr freundlich, dass es sich dabei um eine «Mailpanne» gehandelt habe, was durchaus passieren könne, wenn man wie sie gegenwärtig neben der Arbeit noch spät nachts Hunderte teils verletzende E-Mails beantworten müsse, weil sie sich politisch exponiere. Sie wolle die Aussage in ihrer E-Mail «sehr, sehr relativieren», es sei Martin Walters gutes Recht, sich als Einzelperson kritisch zu äussern. Allerdings finde sie, dass man sich zumindest im Vorfeld mit den KollegInnen hätte absprechen können, wenn man in einem Netzwerk organisiert sei und sich zur gemeinsamen Strategie bekenne. Bei Martin Walter hat sich Enz Kuhn laut eigener Aussage mittlerweile entschuldigt.

Der Kollege Andreas Schoepke, Allgemeinmediziner in Solothurn, schickte den E-Mail-Verkehr in der Copy-Zeile auch an die WOZ und antwortete Enz Kuhn beschwichtigend mit einer Metapher: «Im Turnen in der Schule hatten wir Bändeli, blaue und rote, so konnten sich die Mannschaften gegenseitig erkennen und die jeweiligen Spieler sich gemeinsam für eine Strategie einsetzen. Nur haben sogar in der Hareso [so heisst das Netzwerk, in dem Walter und Schoepke organisiert sind] noch nicht alle Spieler die gleichen Bändeli. Immerhin tragen wir das gleiche Hareso-Leibchen. Ich denke, Martin muss noch begreifen, dass wir in der Hareso alle die gleichen Bändeli tragen.»

Andreas Schoepke ist nicht nur Hausarzt, sondern auch Geschäftsleitungsmitglied der Firma Argomed, die sich gemäss Website auf «überbetriebliche Optimierung von Behandlungsprozessen» spezialisiert und «die Managed-Care-Bewegung in den letzten Jahren massgeblich mitgeprägt» hat. Nicht weiter verwunderlich, dass einer, der sich mit der Organisation von Netzwerken ein Zubrot verdient, der Meinung ist, alle KollegInnen sollten dieselben Bändeli tragen – und das sind, in politischer Farbgebung gelesen, definitiv die blauen und nicht die roten.

Der Markt

Hausarzt Martin Walter griff in seiner Kritik zwei wesentliche Punkte auf.

  • Die Budgetmitverantwortung: Krankenkassen und Ärztenetze handeln für alle PatientInnen ein Jahresbudget aus. Halten die Netzwerke dieses Budget nicht ein, können die Krankenkassen sie für einen Teil der Mehrkosten zur Kasse bitten.
  • Die Wahlfreiheit der PatientInnen und ihrer ÄrztInnen: PatientInnen, die sich keinem Netzwerk anschliessen, bezahlen einen höheren Selbstbehalt, ÄrztInnen, die nicht ins Netzwerk wollen, riskieren, ihre PatientInnen zu verlieren.

Seitens der BefürworterInnen heisst es, die Budgetmitverantwortung sei kein Problem, da es sich bei den von den Kassen für die Netzwerke erstellten Budgets um «virtuelle» Budgets handle. Und dass kein Arzt seinen PatientInnen aus Kostengründen eine Behandlung verweigere, weil er a) daran dann ja auch nichts verdiene und b) das Netzwerk als Ganzes für ein überzogenes Budget haftbar wäre. Bei der WOZ gingen einige Zuschriften von Hausärzten ein, mehrheitlich von solchen, die sich aktiv in der Pro-Managed-Care-Lobby engagieren. Die Ärzte schrieben, dass sie bereits in Netzwerken arbeiten würden und sehr zufrieden seien. Das will niemand bestreiten. Ebenso wenig die Tatsache, dass Netzwerke nicht per se etwas Schlechtes sind. Und dass es in Sachen heutiger Abläufe grosses Optimierungspotenzial gibt.

Wie es mit der Budgetmitverantwortung bei einer Annahme der Vorlage wirklich aussieht, steht in den Sternen. Denn es gibt nirgendwo auf der Welt ein Managed-Care-Modell, das unter vergleichbaren Bedingungen existiert. In einer idealen Welt wäre die Managed-Care-Versorgung sicher eine gute Sache. Zu bedenken gilt es jedoch: Auch das Schweizer Gesundheitswesen ist zusehends ein Markt. Und wie Märkte funktionieren, ist hinlänglich bekannt. Ein Ärztenetzwerk, das der Versicherung zu teuer ist, weil es chronisch Kranken keine kostspieligen Behandlungen verweigern will, wird keine Verträge abschliessen können. Die Krankenkassen wären dumm, wenn sie keinen Spardruck ausüben würden. Und die ÄrztInnen wagemutig, gäben sie dem Druck nicht nach.

Die BefürworterInnen von Managed Care verweisen darauf, dass (anders als in WOZ Nr. 15/12 dargestellt) im neuen Modell noch immer die ÄrztInnen bestimmen würden, wen sie in ihr Netzwerk aufnehmen und mit welchen Versicherungen sie zu welchen Konditionen Verträge abschliessen. Wenn die Netzwerke bei der Behandlung notwendige Leistungen wegsparen würden, hätten sie keine Zukunft, weil sich die PatientInnen abwenden würden, argumentieren die BefürworterInnen.

Netze, die auffangen

Nun sind jedoch die Verträge mit den Kassen geheim, und es besteht die Möglichkeit, PatientInnen bis zu drei Jahre an eine Kasse zu binden. Wenn der Patient seine Kasse also nicht wechseln kann oder will und in der Nähe kein anderes Netzwerk findet, das ebenfalls mit seiner Kasse arbeitet, hat er ein Problem. Dass dieser Fall eintritt, ist wahrscheinlich, denn: In der Bestrebung, alle Leistungen anzubieten, werden die Netzwerke neben allen möglichen SpezialistInnen auch Pflegedienstleister wie die Spitex oder den Physiotherapeuten einbinden. Die Folge: Nicht mehr eine Vielzahl von Netzwerken, sondern grossflächige Gebilde mit Konzerncharakter werden das Gesundheitswesen dominieren – und sich mit freundlicher Unterstützung der profitorientierten Kassen bis aufs Blut bekämpfen. Nun könnten ÄrztInnen, die den Preiskampf nicht tolerieren, aus diesen Netzwerken austreten und eigene, «gute» Netzwerke bilden – auf die Gefahr hin, dass sie im Konkurrenzkampf nicht bestehen.

Dass diese Entwicklung absehbar ist, lässt auch folgende Textpassage auf der Website eines bestehenden Netzwerks erahnen: «Ziel ist es, mediX als Premiummarke für eine qualitativ hochstehende medizinische Versorgung im schweizerischen Gesundheitswesen zu positionieren. Die mediX schweiz Partnerpraxen erlangen damit eine vorteilhafte Marktposition bei Patienten, Versicherten und Versicherern.» Premiummarke, vorteilhafte Marktposition, das klingt in erster Linie nach Profitdenken. Nun muss man ebendieser mediX zugute halten, dass sie die Zusammenarbeit mit Versicherungen auch mal verweigert (namentlich mit der Assura und der EGK), wenn diese nicht bereit sind, gewisse Standards zu erfüllen. Ob sich die Netzwerke dies in Zukunft noch werden leisten können, ist jedoch fraglich.

Die Bändel der NetzwerkbefürworterInnen sind also nicht sozial-rot, sondern marktliberal-blau. Wie es tatsächlich herauskommt, wenn die Vorlage angenommen wird, ist, wie gesagt, ungewiss. Ernsthaft zu denken geben jedoch die eingangs zitierten Reaktionen. Da wird vonseiten der BefürworterInnen stets behauptet, in den Netzwerken werde jede Ärztin, jeder Arzt weiterhin nach bestem Wissen und Gewissen handeln – Druck werde es nicht geben. Die Reaktionen deuten eher aufs Gegenteil hin. Vor dieser Gefahr können nicht einmal BefürworterInnen die Augen verschliessen.

Ein anderer Arzt in Martin Walters Hareso-Netzwerk sagt es so: «Wenn eine Vorlage Netzwerke produziert, die mit Geld ausgestopft sind, die uns bezahlen für alles, was wir mitunterschreiben, die Macht bekommen, mir zu sagen, was gut ist und schlecht, so nimmt man mir die Freiheit zum Denken. Dann wären mir Netzwerke, die um ihre Berechtigung kämpfen müssen, lieber. Darum möchte ich Netzwerke, aber nicht solche, die mich gefangen machen, sondern solche, die mich auffangen. Das ist ein wesentlicher Unterschied.»

Dass es HausärztInnen heutzutage schwer haben, bestreitet niemand. Die Bezahlung ist – im Vergleich zu derjenigen der SpezialistInnen – schlecht, und die grosse finanzielle Eigenverantwortung macht den Hausarztberuf für junge ÄrztInnen unattraktiv. Vom Managed-Care-Modell versprechen sich viele HausärztInnen offenbar eine Aufwertung ihres Standes – warum genau, ist allerdings unklar.