Die jüngsten Wahlen und ihre Folgen: Ein Neustart für Europa?

Nr. 19 –

Es war ein Befreiungsschlag. Bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich, bei den Parlamentswahlen in Griechenland, bei Landtags- und Kommunalwahlen – überall haben die BürgerInnen in den letzten Tagen gegen das Diktat der Finanzmärkte, gegen eine auch wirtschaftlich katastrophale Austeritätspolitik, gegen ihre politische Entmachtung und nicht zuletzt gegen die erdrückende Berliner Spar- und Schuldenbremsenpolitik votiert.

In Frankreich wird erst zum zweiten Mal in der Fünften Republik ein Sozialist Präsident, weil er versprach, den Fiskalpakt neu zu verhandeln und die EinkommensmillionärInnen höher zu besteuern. In Griechenland wurde Syriza, die Koalition der Radikalen Linken, auf Anhieb zweitstärkste Kraft und führt nun den Kampf gegen Europas «barbarisches Spardiktat», so der Vorsitzende Alexis Tsipras, auch im Parlament. In Schleswig-Holstein brachte die Stimmbevölkerung der schwarz-gelben Koalition eine weitere Schlappe bei; in Italien schlug Beppe Grillos Protestbewegung Cinque Stelle vielerorts Silvio Berlusconis Popolo della Libertà und die Lega Nord; in den britischen Gemeinden fand Labour fast zur alten Stärke zurück – und in Spanien, wo die regierende Volkspartei schon Ende März wider Erwarten die Regionalwahl in Andalusien verloren hatte, besetzen jetzt die Indignados, die Empörten, wieder die Plätze.

Selbst die neoliberal gestrickte, aber populäre deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kann von Glück reden, dass die nächste Bundestagswahl erst in sechzehn Monaten abgehalten wird. Die deutsche Regierung hat zwar in den letzten Jahren und im Auftrag der Finanzmärkte und des deutschen Kapitals, insbesondere der Deutschen Bank (vgl. «Die Dirigentin am Main» ), anderen Regierungen und der EU ihren Willen aufzwingen können – nicht aber den BürgerInnen, die überall den Eurosadismus abwählten. Natürlich interpretierten viele Mainstreammedien (vor allem in Deutschland, aber nicht nur dort) die Wahlergebnisse schnurstracks als Ausdruck einer fatalen Bequemlichkeit: Die Französinnen, die Griechen und alle andern seien zu Reformen nicht bereit und würden lieber auf Kosten künftiger Generationen in sozialen Hängematten schlummern. Mal abgesehen davon, dass es solche sozialen Netze kaum irgendwo gibt: Die Rebellion, die sich zuerst auf der Strasse bemerkbar machte und jetzt einen parlamentarischen Ausdruck fand, richtet sich nicht gegen Strukturreformen. Sondern dagegen, dass seit Beginn der Finanzmarktkrise deren Verursacher und Profiteurinnen in Form von Staatsgarantien, Rettungsschirmen, Steuerkürzungen und Privatisierungen auch noch belohnt werden – während gleichzeitig ein grosser Teil der Bevölkerung seine Lebensgrundlage verliert.

Doch die wirkliche Schlacht steht erst bevor. Ein paar Regierungswechsel ändern noch nichts am Machtgefüge, das von – den Lohnabhängigen abgepressten oder abgeschwatzten – Billionensummen dominiert wird, die auf der Suche nach bestmöglicher Verzinsung über den Globus vagabundieren. Die Märkte handelten rasch; vor allem Griechenland bekam das sofort zu spüren – obwohl die GriechInnen nur die Bedingungen der EU-Hilfe für die Banken neu verhandeln wollen. Dennoch könnten die Wahlen die Machtverhältnisse verschieben – hin zu einem linkeren, zumindest sozialdemokratischeren Kontinent wie in den neunziger Jahren, bevor Tony Blair und Gerhard Schröder vor den Märkten niederknieten.

Es gibt durchaus Spielraum, denn die FinanzmarktakteurInnen sind nicht allmächtig. François Hollande kann also Einfluss nehmen, weil auch die CasinobetreiberInnen Rahmenbedingungen brauchen. Bisher hat ihnen das Bündnis Paris–Berlin den Weg geebnet; eine bessere Kreditausfallversicherung bekamen sie weder an der Wall Street noch in der City of London geboten. Das könnte sich nun ändern. Denn auch wenn die Eliten den demokratischen Pöbel verachten: Ganz ohne politischen Konsens können sie und ihre VertreterInnen in Regierungsämtern nicht agieren.

Der wurde jetzt aufgekündigt. Nun hängt alles davon ab, ob der Druck von unten anhält – nicht nur in Frankreich und Griechenland.