Düdingen: Bad Bonn: «Wo zur Hölle liegt denn bloss Bad Bonn?»
Warum Sonic Youth und andere Rockikonen lieber in Düdingen als in Montreux auftreten und Musikfans massenhaft an ein verschrobenes Festival in der Freiburger Provinz pilgern.
Es ist etwas mühsam, mit öffentlichen Verkehrsmitteln ins «Bad Bonn» in der Freiburger Gemeinde Düdingen zu gelangen. Und vor allem wäre dann fraglich, ob man es später innert nützlicher Frist aus dem Sensebezirk wieder zurück schafft. Deswegen treibt man am besten ein Auto auf, fährt von Bern auf der Autobahn Richtung Fribourg und nimmt die Ausfahrt «Düdingen». Nun steuert man nicht in den Dorfkern, sondern durch die Kleingewerbezone und über einen Feldweg in die Landwirtschaftszone, an den Rand des Schiffenensees. Der Parkplatz ist grosszügig angelegt, Grillen zirpen, die Luft riecht nach frisch gemähtem Gras. Die Beiz ist leicht heruntergekommen; gitarrenlastige Musik, bierselige Stimmen und das Klirren grosser Gläser und Flaschen dringen nach draussen.
Willkommen im «Bad Bonn». Nein, das ist kein Freiburger Kurort. Jedenfalls nicht mehr. Sondern der schweizweit vielleicht innovativste Indieclub, der mit der Bad-Bonn-Kilbi jeden Mai auch eines der wichtigsten Indiefestivals Europas ausrichtet. Neben Indierockern treten innovative Enthusiastinnen unterschiedlichster Musikszenen in der Freiburger Provinz auf: aus Electronica, Hip-Hop, Antifolk, Alternative Country und dem guten alten Metal.
Seit 500 Jahren Kilbi
Daniel «Duex» Fontana sieht auf den ersten Blick aus, als würde er nur eine leicht heruntergekommene Beiz führen. Der 46-jährige Düdinger mit halblangen Haaren, Zehntagebart und olivgrünem Käppi hat aber mit dem Club und der Bad-Bonn-Kilbi ein überaus komplexes Unternehmen zum Erfolg geführt. Und zwar seit 1991 mit Konsequenz, Kreativität und Networking. «Viele der Bands, die hierherkommen, sind einfach begeistert von der Atmosphäre, der Kraft und der Bescheidenheit des Orts», sagt Daniel Fontana. «Das spricht sich in der Szene herum.» Über 1500 Bands seien in den letzten 22 Jahren im «Bad Bonn» aufgetreten. Darunter finden sich, neben vielen lokalen MusikerInnen, auch grosse Namen wie The Prodigy, Queens of the Stone Age, Ministry oder die vor kurzem aufgelösten Sonic Youth. Auch wenn Tourmanager anfangs noch regelmässig fragten: «Where the hell is Bad Bonn?»
Das war nicht immer so. Der Name «Bad Bonn» stand bis Ende der sechziger Jahre für ein Kurbad am Ufer der Saane. Dann setzte der Schiffenenstausee das Bad mit seinen stattlichen Häusern, der Kapelle und der Hängebrücke unter Wasser. Das ehemals fast mondäne Kurhotel Bad Bonn wurde weiter oben durch einen gleichnamigen Landgasthof ersetzt, der bald zu einer Absteige verkam. Im historischen «Bad Bonn» gab es eine volkstümliche Kilbi seit über 500 Jahren, die im nachfolgenden Landgasthof bis 1990 in versiffter Version weiterexistierte.
Dann kam Daniel Fontana. Der damals 25-jährige Musikliebhaber, der im Dorf schon ein Pub führte, übernahm 1991 den Landgasthof und interpretierte die Tradition der Kilbi auf seine ganz eigene Art. Rock, Blues und vor allem Heavy Metal prägten die erste Kilbi-Ausgabe der neuen Ära. Später lockten grössere Schweizer Mainstreamrockbands wie Züri West einige Auswärtige an.
Vier Jahre später fand Fontana die Formel, die er bis heute konsequent und kreativ anwendet: eine magische Mischung aus vielen unbekannten, aber vielversprechenden Bands verschiedenster alternativer Musikbereiche und aus wenigen grossen Namen des Alternative Rock, für die andere KonzertveranstalterInnen ihre Seele verkaufen würden.
Medien betitelten die Bad-Bonn-Kilbi, die lange ein Geheimtipp war, schon als «bestes Festival der Schweiz». Und Fans aus allen Sprachregionen der Schweiz und den umliegenden Ländern sorgen dafür, dass der Festivalpass für das relativ kleine Festival – es fasst maximal 2200 BesucherInnen – innert Tagen ausverkauft ist.
The Prodigy im Landregen
1995 war der grosse Name The Prodigy. Und er stand beinahe für das vorzeitige Ende des Experiments «Bad Bonn». Der teure Act sorgte zusammen mit einem dreitägigen Landregen für ein kolossales Defizit. «Ich habe mich da auch selbst hineingeritten», sagt Fontana. «Früher habe ich nebenbei die Finanzen gemacht und gleichzeitig alles eingeladen, was mich interessierte.» Nun wacht Patrick Boschung über das Budget, und Fontana hat seither auch bei viel teureren Engagements – wie etwa Sonic Youth – keine Angst, sich finanziell zu übernehmen.
Heute finanziert sich der Club zu 85 Prozent selbst – in erster Linie durch die Kilbi und privates Sponsoring. Daneben schiessen die Loterie Romande und der Gemeindeverbund Agglo Fribourg einiges Geld ein. Die Gemeinde Düdingen brachte bis vor kurzem für den Club keinen Rappen freiwillig auf – obwohl dieser seit der Schliessung des historischen Kurbads die einzige Institution ist, die Auswärtige anzulocken vermag. «Doch seit sich der Gemeinderat verjüngt hat, erhalten wir über die Agglo Zuschüsse», sagt Fontana. «Früher hatten wir viele Auseinandersetzungen mit den Anwohnern und den Bauern.» Heute seien fast alle der rund 7500 DorfbewohnerInnen stolz, wenn sie von Auswärtigen aufs «Bad Bonn» angesprochen werden.
Der Club ist mittlerweile stark in der Region verankert: Einheimische kommen auch einfach mal auf ein Bier im «Bad Bonn» vorbei, der monatliche Sonntagsbrunch, den Fontana persönlich zubereitet, ist allseits beliebt, und junge Bands aus der Region und der gesamten Schweiz erhalten im Bad Bonn alle paar Wochen eine Plattform.
Seele statt Geld
Früher hing Fontana im «Fri-Son» in der Stadt Fribourg herum und versuchte, die Bands, die dort spielten, auch gleich noch für das «Bad Bonn» zu verpflichten. Heute pilgern KonzertveranstalterInnen von Montreux bis Frauenfeld nach Düdingen, um die grossen Bands von morgen im Embryonalstadium zu beobachten. Wie kommt Fontana dem Neuen, Vielversprechenden auf die Spur? «Ich habe viel Kontakt mit Konzertveranstaltern, Agenturen und Labels in aller Welt, höre auf die Tipps der eingeladenen Bands und von Freunden, und ich verbringe einfach viel Zeit vor dem Computer», sagt Fontana.
Deshalb macht sich Fontana auch nicht allzu viele Sorgen wegen der wachsenden Konkurrenz unter den VeranstalterInnen und der steigenden Preisen für namhafte Bands: «Geld ist nicht alles. Die Bands und das Publikum wissen, dass das ‹Bad Bonn› eine ganz besondere Seele hat.» Wo sonst wäre es möglich, dass so verschiedene Bands wie Hot Chip und das Sun Ra Arkestra einen spontanen Jam anzetteln?
Anfang Dezember bringt Fontana die Düdinger Seele zum zweiten Mal nach Zürich: Unter dem Label «Kilbi im Überall» spielen in den Clubs Exil, Moods, Helsinki und Bogen F «Bad-Bonn»-typische Indiebands auf; Cat Power hat Fontana dank persönlicher Kontakte für den einzigen Schweizer Auftritt im Volkshaus verpflichten können. Doch solche Ausflüge in die Grossstadt – nächsten Oktober ist auch eine Mini-Kilbi im Centre Culturel Suisse in Paris geplant – interessieren Fontana nur am Rand. Sein Herz schlägt für seinen Club in der Freiburger Provinz.