St. Gallen: Palace: Schönheit, Sorgfalt, gutes Essen

Nr. 42 –

Tolle, schräge Musik, angeregte Diskussionen in einem alten, schönen Kino: Das «Palace» ist ein Juwel. Und das erst noch in St. Gallen.

St. Gallen: Palace Foto: Andreas Bodmer

Der Zürcher stand vor der Tür und rauchte. «Was machst du denn hier?», fragte ich, «die Band spielt doch auch in Zürich?» – «Ja», sagte er, «aber hier ist es viel schöner.» Jetzt hat sich wirklich etwas geändert, dachte ich.

Ein ehemaliges Stummfilmkino, 1924 eröffnet, hat also etwas geschafft, was ich kaum für möglich hielt: Es hat den Glauben der Menschen westlich von Winterthur erschüttert, es gebe in St. Gallen nur Bratwürste, die Olma, eine neoliberale Universität und einen Fussballklub. Einiger Menschen zumindest. Hoffentlich werden es nicht zu viele, sonst haben wir bald eine Wohnungsnot wie fast alle anderen Schweizer Städte.

Das ehemalige Kino gehört seit 2003 der Stadt St. Gallen. Das Stadtparlament wies nach dem Erwerb das Projekt eines teuren Kulturzentrums zurück – zum Glück. Mit viel kleinerem Budget konnte eine Gruppe junger KonzertveranstalterInnen vor sechs Jahren mit einem Probebetrieb beginnen. Sie machte das «Palace» in kurzer Zeit zu einem der spannendsten Konzertorte der Schweiz.

«Wir wollten die Konzerte veranstalten, die wir uns immer gewünscht hatten», sagt die Grafikerin Anna Frei, die damals dabei war. «Und plötzlich sassen wir da und assen Spaghetti mit Musikern wie Daniel Johnston oder Jason Molina. Manchmal war das sehr schön, manchmal hat es auch geholfen zu entmystifizieren: Nicht alle, die gute Musik machen, sind auch sympathisch.»

Platz für Schräges

An den alten Räumen hat sich wenig geändert: Das «Palace» ist heute noch unverkennbar ein altes Kino mit roten Plüschsesseln und Empore, sogar der Orchesterraum aus Stummfilmzeiten ist erhalten. Die Eingangshalle wurde inzwischen renoviert, der ewig klebrige Teppichboden vor der Bühne durch einen Holzboden ersetzt. Doch der Raum strahlt immer noch Geschichte aus. Und er ist ganz einfach schön.

Seit 2008 ist das «Palace» kein Provisorium mehr. Die Experimentierfreude ist geblieben. «Wir buchen, was uns interessiert», sagt Damian Hohl. «Wir sind ein Lokal, in dem man neue Musik entdecken kann.» Hohl ist heute Programmverantwortlicher und Ansprechpartner des «Palace» – ein Vollzeitjob. Verantwortlich ist er trotzdem nicht alleine: Die Programmgruppe aus den Anfängen gibt es immer noch. «Wir besprechen die Ausrichtung des Programms sehr genau», sagt Hohl. «Genregrenzen spielen keine Rolle. Schräges soll auf jeden Fall Platz haben.»

Ich habe im «Palace» in den letzten sechs Jahren mehr gute Konzerte erlebt als an allen anderen Orten zusammen. Die schrägsten waren oft die besten: die britische Band Volcano the Bear mit ihrer selbst erfundenen Weltmusik oder die US-Amerikanerin Kevin Blechdom mit ihrem bissigen «Amerika ist wunderbar» – oder auch Animal Collective, die sich das «Palace» heute nicht mehr leisten könnte, mit einem unvergleichlichen Wirbelsturm am Vorabend der desaströsen Parlamentswahlen 2007, einem Konzert, das das Publikum mit offenen Mündern und zuckenden Lichtern vor den Augen zurückliess.

Es gibt nicht nur Konzerte hier: Am Dienstagabend wird das «Palace» mit Vorträgen, Diskussionen und Filmvorführungen zur «Erfreulichen Universität». Freiwilligenarbeit, Flüchtlingspolitik oder «Was wir essen» waren Monatsthemen in der letzten Saison, aktuell geht es um Stadtplanung. Auch Kunst hat Platz: Jede Saison gestaltet einE KünstlerIn eine Flagge für die Erfreuliche Universität. Der Kunstkasten im Untergeschoss erinnert ebenfalls daran, dass es im «Palace» nicht nur um Musik geht. 2008 fand eine ganze Ausstellung mit Begleitprogramm des Zürcher John Institute statt, Thema: Männer in der Kunst. «Ich fände es schön, mehr solche Formen auszuprobieren und sich gemeinsam mit Kunst oder Musik auseinanderzusetzen», meint Anna Frei. «Ich denke, das hat auch heute noch Platz, wenn es jemand machen will.»

Gagen wie an der Börse

Neben dem besonderen Gebäude ist es die Sorgfalt, die das «Palace» zu etwas Besonderem macht: die Sorgfalt in der Programmgestaltung, im liebevoll eingerichteten Backstageraum – dem ehemaligen Projektionsraum des Kinos –, in der Beleuchtung, in der Betreuung der MusikerInnen. Statt Fast-Food gibts Qualitätsnahrung in den Restaurants Schwarzer Engel oder Baratella.

Seit der Tonträgermarkt zusammengebrochen ist, setzen MusikerInnen auf höhere Konzerteinnahmen. Das spürt auch das «Palace». «Mit den Gagen läuft es heute wie an der Börse», erzählt Damian Hohl. «Manager dirigieren Bands nach Betriebswirtschaftslehrbuch. Die einen spielen nur noch an Festivals, andere nur in sogenannten Major Cities, oder sie wollen uns die Promotion vorschreiben.»

Für die «Palace»-BetreiberInnen, die an moderaten Ticketpreisen festhalten, ist es schwieriger geworden. «Wir haben keine absolute Limite gesetzt, aber wir wollen nicht über 45 Franken gehen.» Mit 42 Franken am teuersten sind diese Saison Züri West, die problemlos eine Musikhalle füllen würden – aber es gibt in St. Gallen keine. Die meisten Konzerte kosten zwischen 20 und 25 Franken. Manchmal verwenden die «Palace»-BetreiberInnen Einnahmen aus dem Barbetrieb, um Tickets günstiger anbieten zu können.

«Ich mag das Wort ‹Club› nicht», sagt Damian Hohl. «Es hat etwas Ausschliessendes: Ein Club ist etwas für Mitglieder.» Wie soll man das «Palace» denn nennen? «Mir gefällt ‹Konzert- und Diskussionslokal›.»

www.palace.sg