Ausserdem: Den Nobelpreis noch nicht verdient

Nr. 50 –

Bundeskanzlerin Angela Merkel nickte ihrem französischen Amtskollegen demonstrativ zu, als am Rednerpult der Chef des Nobelkomitees die EU dafür lobte, zwischen den ehemals verfeindeten Grossmächten Frieden gestiftet zu haben. Europas politische Elite war zu Wochenbeginn nach Oslo gekommen, um den Friedensnobelpreis an die EU in Empfang zu nehmen. Und um sich im Glauben zu bestärken, dass man sich auf dem rechten Weg befinde.

Die über sechzig Jahre Frieden in Europa sind aussergewöhnlich. Tatsächlich war dieser ein zentrales Ziel, als 1951 die damalige Montanunion gegründet wurde. Die wirtschaftliche Verflechtung der europäischen Staaten sollte einen Krieg unmöglich machen. Doch das eigentliche Fundament für den langen Frieden liegt anderswo: in den Wohlfahrtsstaaten, deren Aufbau seit dem Weltkrieg dafür sorgte, dass alle ein Stück vom Kuchen abbekommen. Sie waren die Lehre, die Europa aus zwei Kriegen gezogen hatte. In einer Welt, in der das Volk als Souverän zunehmend politischen Einfluss besass, hatte das Elend breiter Schichten Anfang des 20. Jahrhunderts in den autoritären Kommunismus, den Faschismus und den Krieg geführt. Gewissen Eliten hatte der Nationalismus als Blitzableiter für den Unmut der Massen gedient.

Nun hat gerade die wirtschaftliche Verflechtung dazu beigetragen, den Wohlfahrtsstaat zu untergraben. Welchen Machtverlust insbesondere der freie Kapitalverkehr für den Nationalstaat bedeutet, hatte der damalige französische Präsident François Mitterrand bereits 1981 erfahren, als er sich nach Verstaatlichungen und einem erhöhten Mindestlohn mit einem Kapitalabfluss konfrontiert sah. 1983 verkündete er den «tournant de la rigueur», die Kehrtwende der Strenge. Seither hat Europa die Spitzensteuern gesenkt, Finanz- sowie Arbeitsmärkte dereguliert. Die Ungleichheit nahm zu, 2008 stürzte Europa in die Krise. Der Nationalismus in ganz Europa flammt wieder auf.

Dieser Schwund an sozialem Zusammenhalt ist durch wirtschaftliche Verflechtung nicht zu kompensieren.

Die EU ist ein Liberalisierungsmotor. Gleichzeitig liegt in ihr auch die Hoffnung, den grenzübergreifenden Markt eines Tages unter demokratische Obhut zwingen zu können. Die EU muss ihren Preis erst noch verdienen.