Durch den Monat mit Karine Guignard (Teil 2): Stehen Sie mit der Schweiz auf Kriegsfuss?

Nr. 50 –

Zwischen RapperInnen in Ägypten und im Libanon gebe es mehr Austausch als zwischen solchen aus Lausanne und Zürich, sagt Karine Guignard alias La Gale.

Karine Guignard: «Das klingt jetzt kitschig, aber ich liebe die Natur in der Schweiz, die Berge und die Wälder.»

WOZ: Karine Guignard, Ihre Mutter stammt aus dem Libanon, Ihr Vater aus dem Waadtland, wo auch Sie aufgewachsen sind.
Karine Guignard: Genau, in einem Kaff namens Cossonay.

Klingt nach Idylle.
Im Gegenteil. Besonders die Schule habe ich gehasst. Ich war nicht sehr diszipliniert, und es fiel mir schwer, still dazusitzen und mir irgendwelche Scheisse anzuhören, die mich nicht im Geringsten interessiert hat. Ausserdem waren wir alle zusammen in einem Schulraum, von Acht- bis zu Fünfzehnjährigen. Das habe ich kaum ausgehalten. Ich habe zwar einen Schweizer Pass, aber im Dorf war ich trotzdem die Araberin, die Fremde. Immer wieder habe ich auf den Arsch gekriegt und sehr früh erfahren müssen, was Rassismus und Ausgrenzung heisst. Andererseits habe ich dort auch gelernt, mich zu wehren.

Stehen Sie mit der Schweiz auf Kriegsfuss?
Natürlich gibt es auch viel Positives. In allererster Linie meine vielen Freunde hier. Und das klingt jetzt kitschig, aber ich liebe die Natur in der Schweiz, die Berge und die Wälder. Die Natur verbindet mich mit der Schweiz.

Welchen Bezug haben Sie zum Libanon, dem Heimatland Ihrer Mutter?
Mittlerweile einen sehr engen. Ich war in den letzten fünf Jahren rund ein Dutzend Mal dort. Das war früher nicht so. 1991 reiste ich als Achtjährige das erste Mal in den Libanon. Das war kurz nach dem Bürgerkrieg. Alles war zerstört, die Strassen, die Gebäude. Und die Angst in der Bevölkerung war noch gut spürbar, man misstraute einander. Zehn Jahre danach bin ich wegen einer Familienfeier nochmals in den Libanon gereist, aber mein Interesse am Heimatland meiner Mutter entstand erst später.

Was hat dieses Interesse ausgelöst?
Ich hatte Lust, meine libanesischen Wurzeln selbst zu entdecken. Durch Begegnungen vor Ort, indem ich wirklich dort war. Zuvor kannte ich das Land vor allem vom Fernsehen und Radio. Wir haben sehr viel arabische Musik gehört: Feyrouz, Farid al-Atrache oder Joseph Azar. So um das Jahr 2005 herum bin ich dann erstmals mit der libanesischen Rapszene in Kontakt gekommen. Daraus sind Freundschaften und Projekte entstanden.

Wie zum Beispiel mit dem DARG-Team aus dem Gazastreifen. Die haben Sie zu Ihrem Song «Frontières» inspiriert.
Was heisst inspiriert? Wir wollten Ende 2008 in der Schweiz ein Album mit ihnen aufnehmen. Monatelang haben wir mit allen möglichen Behörden dafür gekämpft, dass das Künstlerkollektiv eine Ausreisebewilligung erhält. Dann hat Israel den Gazastreifen bombardiert, und die Ausreise war für das DARG-Team nicht mehr möglich.

Auch für meine Freunde im Libanon ist es jedes Mal ein Riesenkrampf, die nötigen Papiere zu erhalten. Ich hingegen komme mit meinem Schweizer Pass an, kriege einen Stempel, und zack!, schon kann ich einreisen. Für die einen sind Grenzen unüberwindbar, andere passieren sie ohne Mühe. Es ist ein völlig ungerechtes System. Unser Umgang mit Grenzen ist paranoid und rassistisch. Darum geht es in dem Song «Frontières», und um die Utopie, dass es dereinst keine Grenzen mehr gibt.

Sie arbeiten mit weiteren Rapperinnen und Rappern aus dem arabischen Raum zusammen.
Zurzeit entsteht im ganzen arabischen Raum, auch an den Rändern, ein grosses Netz von Rapkünstlern. Die Szene wächst und wächst rund um Rapper, die schon länger in der Szene sind und diese beeinflussen: Arabian Knightz und MC Amin in Ägypten, RGB oder Malikah im Libanon, Boikutt und Slovo von Ramallah Underground. Aber auch Omar Offendum, der in den USA lebt, oder The Narcicyst aus dem Irak, der mittlerweile nach Kanada ausgewandert ist. Die Szene ist riesig geworden.

Und was zeichnet diese Szene aus?
Die Bereitschaft, sich über alle Grenzen hinweg auszutauschen. Der Austausch ist meiner Meinung nach ausgeprägter als jener zwischen Rappern aus Lausanne und Zürich. Das liegt einerseits daran, dass sie alle die gleiche Sprache sprechen: Arabisch. Aber auch an ähnlichen Problemen und Erfahrungen, die sie in ihrer Heimat machen.

Gibt es auch einen Austausch mit israelischen Rappern?
So, wie die aktuelle politische Situation ist, trete ich nicht in Israel auf. Mehr will ich dazu gar nicht sagen.

Sind Sie eigentlich religiös?
Nein, das ist kein Thema für mich. Aber ich habe Freunde ganz unterschiedlicher Religionen. Das akzeptiere ich, solange sie mich akzeptieren. Malikah zum Beispiel, mit der ich vor zwei Wochen gemeinsam in Bern an jenem Konzert gegen Sexismus aufgetreten bin, ist Muslimin und sagt das auch in ihren Songs. Sie folgt einem Buch, weil sie denkt, das sei cool, weil es sie zu einem besseren Menschen mache. Ich habe damit kein Problem. Genauso wenig hat Malikah ein Problem damit, dass ich keine Religion brauche. Wir sind gute Freundinnen, wir rappen zusammen, reisen zusammen, lachen zusammen. Das ist das Wichtigste.

Karine Guignard hat als Rapperin La Gale 
(die Krätze) im Frühjahr ihr gleichnamiges Debütalbum veröffentlicht (Vitesse Records). 
Im Kinofilm «Opération Libertad» spielt sie eine autonome Revolutionärin der siebziger Jahre.