Nestlégate: Spionieren verboten!
Nestlé und Securitas müssen Attac wegen Spionage Genugtuung bezahlen.
«Ich bin sehr zufrieden!» Rechtsanwalt Jean-Michel Dolivo ist die Freude über den Entscheid des Waadtländer Zivilgerichts anzusehen: Der Nahrungsmittelmulti Nestlé und die Sicherheitsfirma Securitas müssen 27 000 Franken zahlen. Diese Summe steht den Opfern einer Spionageaktion der beiden Firmen als Genugtuung zu.
Die Spionin nannte sich «Sara Meylan». Ab 2003 infiltrierte sie im Auftrag von Nestlé und von Securitas die globalisierungskritische Organisation Attac sowie die AutorInnen eines kritischen Buchs über Nestlé. Sie nahm an Sitzungen teil, verschaffte sich Zugang zu vertraulichen Dokumenten, erstellte Berichte über Sitzungen und Personen, listete Privatadressen und persönliche Motivationen auf. «Sara Meylan» war nicht allein. Als die Affäre 2008 aufflog, wurden zwei weitere Securitas-Spioninnen bekannt.
Besonders interessiert zeigten sie sich an Informationen über eine kolumbianische Gewerkschaft, mit der Nestlé in einen Arbeitskonflikt verwickelt war – der Fall des ermordeten kolumbianischen Gewerkschafters Luciano Romero machte Schlagzeilen. Auch der brasilianische Umweltschützer Franklin Frederick, der sich gegen Nestlés Wassergeschäfte einsetzte, geriet ins Visier der Spitzelinnen.
Im Jahr 2008 reichte Attac Strafanzeige ein. Nach einer strafrechtlichen Untersuchung, die durch fehlende Dokumente, falsche Daten, sich widersprechende Zeugen und die systematische Ablehnung von Beweisanträgen der Klagenden auffiel, wurde der Fall ein Jahr später zu den Akten gelegt. Fernsehjournalist Alec Feuz dokumentierte die Ungereimtheiten der Untersuchung in einem Buch, im Vorwort dazu schrieb der Waadtländer Ständerat Luc Recordon: «Selten ist eine Untersuchung im Kanton Waadt so eindeutig mit dem Ziel einer Entlastung der Verdächtigen geführt worden.»
Doch Attac gab nicht klein bei und reichte Zivilklage ein: «Eine Zivilklage ist bedeutend komplizierter als eine Strafklage», erklärt Anwalt Dolivo. Denn nicht die Staatsanwaltschaft, sondern die Kläger müssten die Beweise vorlegen. Doch was dem damaligen Untersuchungsrichter Jacques Antenen nicht gelingen wollte, haben die Klagenden geschafft: Das Lausanner Zivilgericht anerkannte am 25. Januar 2013, dass es sich um eine unerlaubte Infiltration gehandelt habe und dass der Anspruch auf Genugtuung bestehe. Die Opfer – die sieben BuchautorInnen, Attac-Ehrenpräsidentin Susan George, Verfasserin des Vorworts, sowie Attac als Organisation – erhalten je 3000 Franken Genugtuung – als Entschädigung für die erlittene «Infiltration in die Privatsphäre», wie es in der richterlichen Entscheidung heisst.
«27 000 Franken sind angesichts der Finanzmacht von Nestlé und Securitas und der erlittenen Verletzung der Persönlichkeitsrechte nicht viel», findet Dolivo, «aber das Urteil ist ein klares Zeichen.» Es zeige, dass die Waadtländer Justiz bei der strafrechtlichen Untersuchung ihre Arbeit nicht korrekt gemacht habe. Wichtiger noch: «Zumindest mit dieser Art von Spionage ist es jetzt vorbei!»
Auch Attac zeigt sich zufrieden. «Selbst Nestlé oder Securitas können nicht einfach eine Bürgerbewegung ausspionieren», fasst Aktivistin Beatrice Schmid zusammen. Aber sie zeigt sich besorgt um die demokratischen Rechte in der Schweiz: «Wenn in so kurzer Zeit drei Spione auffliegen, muss man sich dann nicht fragen, ob es sich bloss um die Spitze eines Eisbergs handelt?» Bei Attac sei man seit den Vorfällen vorsichtiger geworden, «aber eine Gruppe, die öffentlich arbeiten will, kann nicht viel mehr tun als Augen und Ohren offen zu halten».
PS: Kurzen Prozess mit Nestlé machten am vergangenen Wochenende Unbekannte in St. Gallen: Sie warfen vier Schaufenster des örtlichen Nespresso-Geschäfts mit Steinen ein. Humorvoll am Bekennerschreiben ist immerhin der Name: «Kommando Sara Meylan».
Die preisgekrönten Recherchen der WOZ zu Nestlégate auf: www.woz.ch/d/nestlegate