Kroatien im Krieg : Wie ein «Volk» entsteht

Nr. 25 –

Das Aufkommen radikaler NationalistInnen sprengte Jugoslawien und führte zum Krieg von 1991 bis 1995. Wer die jeweils «falsche» Ethnie hatte, wurde ausgegrenzt.

1990 fanden in den verschiedenen Teilrepubliken der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien erstmals freie demokratische Wahlen im Rahmen eines Mehrparteiensystems statt. Fast in allen Republiken erzielten antikommunistische, «nationale» Parteien grosse Wahlerfolge. In Kroatien siegte die Kroatische Demokratische Union (HDZ) unter der Führung des radikalen Nationalisten Franjo Tudjman. Nach dem Referendum in Slowenien im Dezember 1990 entschied sich im Mai 1991 auch die kroatische Bevölkerung mit grosser Mehrheit für die Unabhängigkeit. Darauf folgten Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Nur Serbien und Montenegro entschieden sich für einen Verbleib im jugoslawischen Staatsverband.

In Belgrad betrieben Präsident Slobodan Milosevic und seine Entourage unter dem Vorwand, die bedeutenden serbischen Minderheiten in Bosnien und Kroatien schützen zu wollen, eine aggressive nationalistische Politik. Ihnen schwebte vor, aus der jugoslawischen Konkursmasse gewaltsam ein «Grossserbien» zu schaffen, das über die Republiksgrenzen hinaus alle «serbischen Länder» umfassen sollte. Die skrupellose Clique um den nationalistischen Scharfmacher Tudjman, der erster Präsident Kroatiens wurde, reagierte mit einem ebenso radikalen kroatischen Nationalismus.

Allerdings erwies sich die Abgrenzung nach eindeutigen «nationalen» Merkmalen als schwierig. Die mit dem Serbischen eng verwandte kroatische Standardsprache, die sich vor allem im Alphabet (lateinisch statt kyrillisch) und in einigen grammatikalischen und lexikalischen Varianten unterscheidet, wurde «purifiziert». Religionszugehörigkeit wurde zum wichtigsten Merkmal nationaler Identität: Kroate gleich Katholik. Weder die damals rund zwölf Prozent ausmachende (vorwiegend orthodoxe) serbische Gemeinschaft noch kleinere Minderheiten noch alle, die sich jenseits religiöser oder ethnischer Kategorien definieren wollten, gehörten zu dieser «kroatischen Nation», sie wurden ausgegrenzt.

Franjo Tudjmans Regime machte nicht nur Anleihen bei der autoritären Herrschaft und dem Personenkult um den einstigen jugoslawischen Übervater Josip Broz Tito. Es griff auch auf Symbole der Ustascha zurück. Nach der Eroberung Jugoslawiens durch die Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg 1941 hatte diese Gruppe radikaler kroatischer Faschisten unter Führung von Ante Pavelic einen kurzlebigen «Unabhängigen Staat Kroatien» von Hitlers und Mussolinis Gnaden ausgerufen. Im faschistischen Marionettenstaat, der nominell auch ganz Bosnien umfasste, hatten sie ein Terrorregime errichtet und Serbinnen, Juden, Roma und AntifaschistInnen verfolgt und zu Tausenden ermordet. Tudjmans rassistische Reminiszenzen bestärkten die serbische Bevölkerung Kroatiens in ihrer von Belgrad geschürten Angst, die «Rückkehr der Ustascha» stehe bevor.

Als es in Slawonien, der Banija und Dalmatien zu Gefechten zwischen kroatischen Sicherheitskräften und serbischen Paramilitärs kam, griff die Jugoslawische Volksarmee (JNA) auf serbischer Seite ein. Während Deutschland und später auch die Europäische Gemeinschaft Kroatien als Staat anerkannten, wurde auf rund einem Drittel des kroatischen Territoriums eine unabhängige «Republik Serbische Krajina» proklamiert. Die nicht serbische Bevölkerung wurde vertrieben.

Milosevics «grossserbische» Politik und die Interventionen der proserbischen JNA in Kroatien bedeuteten eine reale Bedrohung für den neuen Staat. Die serbische Führung orchestrierte massgeblich die Eskalation der Gewalt im ganzen früheren Jugoslawien. Die Notwendigkeit einer Abwehr der «serbischen Aggressoren» mag deshalb prinzipiell legitim erscheinen – nicht jedoch, wie sie betrieben wurde. Im Krieg wurden auch von kroatischer Seite massive Kriegsverbrechen begangen. Bei der – von den USA und Deutschland abgesegneten – Rückeroberung der «Krajina» 1995 wurden Hunderte SerbInnen ermordet, 200 000 ergriffen aus Angst vor Übergriffen die Flucht. Bis heute sind die wenigsten in ihre alte Heimat zurückgekehrt.

Tudjmans Regime griff auch in den Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina ein. Hier leben neben BosniakInnen (MuslimInnen) und SerbInnen rund siebzehn Prozent KroatInnen: Bosnien war ein «Jugoslawien im Kleinen». Wie die anderen Volksgruppen wählten auch die bosnischen KroatInnen «nationalistisch». Ein radikaler Ableger der Tudjman-Partei HDZ stieg in der Westherzegowina sowie in Teilen Zentral- und Nordbosniens zur massgeblichen politischen Kraft auf. Mit der Unterstützung Zagrebs kämpfte ihr militärischer Arm auf bosniakischer Seite gegen die Truppen der serbisch-bosnischen «Serbischen Republik». Letztere verfügten über Ausrüstung und Waffen der JNA und beherrschten bald zwei Drittel des Staatsgebiets.

Bald schon kam es auch zwischen der kroatischen und der bosniakischen Seite zum Krieg im Krieg, dessen Symbol die zerstörte Brücke von Mostar wurde. Die HDZ rief (wiederum mit Zagrebs Unterstützung) die «Kroatische Republik Herceg-Bosna» aus und plante den Zusammenschluss mit dem Mutterland zu einem «Grosskroatien». Auf Druck der USA wurde der kroatisch-bosniakische Konflikt schliesslich beigelegt. Serbische Kriegsverbrechen wie der Massenmord an 8000 BosniakInnen in der Uno-Schutzzone von Srebrenica hat die internationale Gemeinschaft zum Anlass für eine Intervention genommen. Mit Unterstützung der Nato-Luftwaffe wendete sich das Blatt gegen die «Serbische Republik». Im Abkommen von Dayton wurde 1995 Bosnien als Staat erhalten, jedoch entlang der Frontlinien in eine (bosniakisch-kroatische) Föderation Bosnien-Herzegowina und eine Serbische Republik sowie in drei ethnisch definierte Entitäten geteilt.

Siehe auch «Mit voller Kraft voraus?» aus dieser WOZ-Ausgabe.