Drogenhandel: Der Esel und das Kokain
Auf dem Weg von Kolumbien nach Mexiko muss das weisse Pulver quer durch Zentralamerika. Dort arbeiten alle grossen mexikanischen Kartelle mit örtlichen Dienstleistern zusammen – mit kleinen Verbrechersyndikaten, die oft nur wenige Quadratkilometer kontrollieren. Unterwegs auf der Drogenroute durch El Salvador.
Mitternacht war längst vorbei, das Morgengrauen noch fern, als in der Nacht vom 11. auf den 12. September ein paar Dutzend Polizisten auf die Hacienda El Rosario (Der Rosenkranz) vorrückten. Sie trugen Stahlhelm und schusssichere Weste, das Gesicht unter einer Tarnkappe mit Sehschlitz, den Finger am Abzug des entsicherten Sturmgewehrs. Der Staatsanwalt stand nervös in der Nachhut. El Rosario, einen halben Kilometer vor dem Ortseingang des salvadorianischen Städtchens Texistepeque gelegen, ist kein repräsentatives Anwesen. Ein schlichtes Haupthaus und eine Blockhütte mit einem halben Dutzend Schlafplätzen, mehr nicht. Dahinter tun sich weite Viehweiden auf.
Die Polizisten umstellten die Blockhütte, brachen mit einem langstieligen schweren Hammer die Tür des Haupthauses auf. Sie fanden es eingerichtet wie eine Bar für Cowboys: ein langer solider Tresen mit abwaschbaren Einlegearbeiten aus bunten Mosaiksteinen, davor eine Reihe von Hockern, die Sitzflächen aus Pferdesätteln. Und weit und breit kein Mensch.
Über 200 Polizisten der Sondereinheit für Drogenkriminalität, verstärkt von Kollegen aus der Abteilung zur Bekämpfung der «Maras» genannten Jugendbanden, durchsuchten in jener Nacht 39 Häuser in den Provinzen Santa Ana, Sonsonate und Ahuachapán im Westen von El Salvador. Achtzehn Männer wurden verhaftet. Die örtlichen Polizeikräfte wussten von nichts; man hatte sie nicht vorab informiert. Am Morgen danach sagte Sicherheitsminister Ricardo Perdomo bei einer Pressekonferenz: «Wir haben den operativen Teil des Kartells von Texis zerschlagen.» Die Hacienda El Rosario soll Sitz der Kommandozentrale gewesen sein. Würde das stimmen, klaffte seither eine Lücke im Weg des Kokains von den Drogenlaboren Kolumbiens durch Zentralamerika und Mexiko in die USA.
Durch die Luft und übers Meer
Das Milliardengeschäft mit dem weissen Pulver wird seit Jahren von den mexikanischen Grosskartellen dominiert, allen voran vom mächtigen Sinaloa-Kartell. In deren Auftrag wird in Bolivien, Peru und Kolumbien Koka angebaut. Die Blätter der Sträucher werden zu Kokapaste verarbeitet, die dann in den Laboren in den Urwäldern und Savannen Kolumbiens zu Kokain verfeinert werden. Von dort gelangt das Pulver in Kleinflugzeugen oder auf dem Seeweg nach Zentralamerika. Die mexikanischen Kartelle übernehmen die Ware an der Nordgrenze Guatemalas.
Für den Weg durch Zentralamerika sind Minikartelle zuständig: Verbrecherbanden, die oft nur wenige Quadratkilometer kontrollieren, dort aber bestens mit lokalen PolitikerInnen und Sicherheitskräften verbandelt sind. Im Grunde sind diese Kartelle Dienstleistungsunternehmen, die jedem sicheren Transport anbieten, der sie dafür bezahlt – und bezahlt wird sehr viel in diesem Gewerbe. Sie arbeiten genauso für das Sinaloa-Kartell wie für deren Konkurrenz, das Golf-Kartell oder die Zetas. In Mexiko hat der Konkurrenzkampf dieser Mafias Tausende von Leichen zur Folge, in Zentralamerika greifen sie alle auf dieselben Helfer zurück. Dort wird das Kokain von einem Minikartell zum nächsten weitergereicht. Jede Organisation kennt ihr Gebiet wie ein Mann seine Hosentasche, und vor allem kennt sie das, was man in Zentralamerika «puntos ciegos», blinde Flecken, nennt: kleine, halblegale Grenzübergänge, die so unbedeutend sind, dass sie von keiner Staatsmacht kontrolliert werden. Im Drogengeschäft haben sie zentrale Bedeutung.
San Fernando ist ein verschlafenes Dorf im hügeligen Norden der salvadorianischen Provinz Chalatenango: ein paar Dutzend Häuser, meist eingeschossig aus Lehmziegeln gebaut und mit weissem Kalk verputzt. In der Mitte ein Kirchlein vor einem abschüssigen Platz, der genauso wie die Strässchen mit runden Natursteinen gepflastert ist. Das letzte Haus am Ortsrand ist eines jener kleinen Hotels, bei denen Bettflöhe und Wanzen im niedrigen Übernachtungspreis inbegriffen sind. Gleich danach führt der Weg steil hinunter zum Río Sumpul, dem Grenzfluss. Auf der anderen Seite ist Honduras.
Im Schatten lehnt ein einsamer Soldat an der Mauer des Hotels. Das Sturmgewehr hängt lässig an seiner linken Schulter, er spielt konzentriert mit seinem Mobiltelefon. «Wollt ihr hinüber?», fragt er und blickt kurz auf. Die Antwort interessiert ihn nicht. Unten, schon ausserhalb der Sichtweite des Soldaten, führt eine Brücke aus Beton über den Fluss. Sie ist so breit und auch stabil genug, um einen beladenen Lastwagen passieren zu lassen. Auf der anderen Seite – gar nichts. Kein Haus, kein Schlagbaum, kein Grenzposten; nicht einmal ein Schild mit dem an anderen Grenzübergängen obligatorischen «Willkommen in Honduras». Man hört nur das Plätschern des Río Sumpul und das Gezirpe von ein paar Grillen. In vielen Kurven führt die staubige Erdstrasse durch eine Landschaft aus Weiden und kleinen Pinienwäldern. Nach gut drei Kilometern erreicht man die ersten Häuser von Mercedes, einem ähnlich verschlafenen Dorf wie San Fernando.
Der Wilde Westen von Honduras
Die Brücke hinter San Fernando ist so ein blinder Fleck. Hier beginnt das Gebiet des Kartells von Texis. Das Kokain, das aus Honduras angeliefert wird, kommt aus der Provinz Olancho oder aus der mit dem seltsamen Namen Gracias a Dios (Gott sei Dank) an der unzugänglichen Karibikküste.
Olancho ist so etwas wie der Wilde Westen von Honduras, obwohl die Provinz in der Mitte des Landes liegt. Hier herrschen noch immer die GrossgrundbesitzerInnen nach ihren eigenen Gesetzen. Fast alle wichtigen Politiker der letzten Jahre kommen aus Olancho: der nach links tendierende und deshalb 2009 mit einem Militärputsch gestürzte Präsident Manuel Zelaya genauso wie sein von den PutschistInnenen ins Amt gehievte rechte Nachfolger Porfirio Lobo. Endlose Felder wechseln sich in Olancho mit Wäldern ab, es gibt unzählige Landepisten für Kleinflugzeuge und Lagerhallen, die für Maiskörner genauso taugen wie für Kokain. Allein im Jahr 2011 sollen hier nach Regierungsangaben 156 Drogenflugzeuge aus Kolumbien gelandet sein und 50 Tonnen Kokain entladen haben. 2012 seien es dann 65 Tonnen gewesen. Wahrscheinlich war es aber mehr: Die Uno-Behörde für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) schätzt, dass jedes Jahr 500 bis 600 Tonnen Kokain durch Zentralamerika geschleust werden. Der Weg über Olancho ist der breiteste und bequemste: Von dort kann die Ware leicht weggebracht werden, die Provinz ist gut ans Fernstrassennetz von Honduras angebunden.
In Gracias a Dios dagegen gibt es keine Strassen. In der unzugänglichen Dschungelprovinz an der Grenze zu Nicaragua bewegt man sich auf den Flüssen. Hier leben vor allem Indígenas von der Ethnie der Miskito, die allermeisten sind bitterarm. Ein paar Dollars für den Drogentransport sind hochwillkommen. Die Ware kommt hier weniger in Kleinflugzeugen als in Schnell- oder Unterseebooten übers Karibische Meer. Die Lage ist unübersichtlich, die Einflussbereiche der einzelnen Kleinkartelle noch unklar. Es kommt immer wieder zu Schiessereien. Zuletzt stritten sich Anfang August in der Gemeinde Belén zwei Gangs um eine Ladung von 700 Kilogramm Kokain. Der nicaraguanische Pistolero Juan Carlos Villalobos, genannt El Muco (umgangssprachlich: Der Rotz), kam mit vierzig Mann in zwei Booten über die Grenze. Die Schlacht dauerte mehrere Stunden, am Ende lagen siebzehn Tote im Gras. Dem Vernehmen nach wurde El Muco zurückgeschlagen.
«Das sind ganz normale Leute, die sich wegen des Gelds in dieses Geschäft stürzen und ihre Dienste verschiedenen Kartellen anbieten», sagt Roberto Orozco, Drogenexperte am regierungsunabhängigen Institut für strategische und politische Studien in Managua. «Erst mit der Zeit bilden sich richtige Strukturen heraus.» Die Gangs in Gracias a Dios und im benachbarten Dschungelgebiet im Norden Nicaraguas seien gerade auf diesem Weg der Konsolidierung. Weiter im Westen, in Richtung El Salvador, sind die Wegrechte längst verteilt.
Angestochene Kälber
Den Schmuggelpfad über die Brücke hinter San Fernando gibt es schon lange, viel länger als das Kokain. Honduras ist ein Flächenstaat mit viel Landwirtschaft, El Salvador ein überbevölkerter Kleinstaat. Mais, Milch, Käse – von allem gibt es viel mehr in Honduras, und alles ist viel billiger. Fleisch natürlich auch. Es ist ein alter Brauch, dass salvadorianische Viehdiebe über die Grenze gehen und gestohlene Rinder zurück in die Heimat treiben. Und selbst wenn das Vieh ganz legal über die Grenze kommt, hat es oft illegale Ware dabei. Man nennt die dabei angewandte Technik «anstechen», vor allem Kälber sind dafür geeignet: Man bohrt von aussen einen der vier Mägen an und führt einen mit Kokain gefüllten Schlauch ein. Die Wunde schliesst sich bei den jungen Tieren schnell. Zwei bis drei Kilo Kokain pro Kalb sind kein Problem. Bei einer Herde kommt da einiges zusammen.
Es ist also naheliegend, dass einer der Bosse des Kartells von Texis seine Karriere als Geschäftsführer einer Viehmesse begann, in Santa Ana, der grössten Stadt im Westen El Salvadors. Der Mann heisst Roberto Antonio Herrera und wird El Burro (Der Esel) genannt. Der Mittfünfziger mit vollem grauschwarzem Haar und feinem Schnauz hat das Gesicht eines Boxers kurz vor dem Angriff. Er ist der Besitzer des Landguts El Rosario. Als dort in der Nacht zum 12. September die Polizei anrückte, sass er schon einige Monate in Haft. Nicht wegen Drogenhandel; seine Bande hat viele Geschäftsfelder. El Burro sitzt ein, weil er mindestens 106 Autos gestohlen und zu GeschäftspartnerInnen nach Guatemala verschoben haben soll.
Als Chef der Viehmesse von Santa Ana gehört man zu den Honoratioren der Stadt. Seine beiden Partner im Kartell von Texis sind noch hochkarätiger und wurden deshalb von der Polizei bislang nicht angefasst: Der eine wird El Chepe Diablo (etwa: Der Teufelsjupp) genannt. Anders, als es sein Spitzname nahelegt, hat der bullige Typ mit den hohen Geheimratsecken und den treuherzigen Augen eher joviale Umgangsformen. Sein bürgerlicher Name ist José Adán Salazar, er ist Viehzüchter, Besitzer eines halben Dutzends Hotels und der Fussballmannschaft von Metapán, die in der ersten salvadorianische Profiliga vorne mitmischt; zudem ist er Präsident dieser Liga. Laut seiner Steuererklärung hat er in den vergangenen fünf Jahren dreissig Millionen US-Dollar verdient. Sein bestes Jahr war 2008 mit neun Millionen Dollar – und das, obwohl seine Hotels meist nur spärlich belegt sind. Aber sie eignen sich bestens zur Geldwäsche.
Der dritte im Bund ist Juan Umaña, der Bürgermeister von Metapán. Der grau melierte Herr gibt gerne den Landbesitzer alter Schule und zeigt sich fast nur mit einem edlen cremefarbenen Hut mit breiter Krempe. Er ist ein Schwergewicht in der rechten Nationalen Versöhnungspartei (PCN), der drittstärksten politischen Kraft im Land, und bei der Mehrheitsfindung im Parlament das Zünglein an der Waage. Von Metapán aus sind es gerade noch zwölf Kilometer bis zur Grenze mit Guatemala. Die Nordwestpassage durch El Salvador ist das Herrschaftsgebiet des Kleinkartells.
Von San Fernando führt die Strasse in Richtung Süden. Sie schlängelt sich hinab in tief eingeschnittene Täler mit üppiger tropischer Vegetation, steigt kurvenreich hinauf in lichte Pinienwälder, die meist von Nebel verhangen sind. Im Jargon der Drogenhändler heisst diese Strasse El Caminito, das Weglein. Für die durchgehend erdige und mit Wackersteinen durchsetzte schmale Fahrspur ist ein Geländewagen anzuraten – oder aber ein Lastwagen. Gegenverkehr gibt es selten. Bisweilen passiert man einen kleinen Weiler. Die wenigen Menschen, die hier leben, betreiben Subsistenzwirtschaft oder arbeiten auf Kaffeeplantagen, deren Bohnen zu den besten des Landes gehören. Es gibt nur eine Abzweigung, irgendwo im Niemandsland. Dort steht ein handgemaltes Holzschild mit einem Pfeil und dem Hinweis: Helikopterlandeplatz.
Nach 36 Kilometern und einer Stunde des Holperns erreicht man den letzten Bergkamm. Im Süden liegt eine weite Ebene, eine der heissesten Gegenden El Salvadors. Am Fuss der Hügelkette befindet sich das Städtchen Dulce Nombre de María (Süsser Name Mariens). Es macht seinem Namen alle Ehre: Die Strassen sind herausgeputzt, so gut wie jedes Haus ist mit einem Wandgemälde mit religiösem Motiv geschmückt – meist ist es ein Jesus oder eine Maria. Die Kirche hat eine neue strahlend weisse Fassade im Zuckerbäckerstil, gekrönt von Statuen flatternder Engel und einem Christus. Ein schönes Beispiel für den Kitsch der sogenannten Narco-Architektur.
Von Dulce Nombre de María an ist die Strasse geteert. Die Drogenroute führt nun nach Westen, vorbei an El Paraíso (Das Paradies) mit seiner grossen Militärgarnison nach Nueva Concepción (Neue Empfängnis). In diesem Städtchen mit 30 000 EinwohnerInnen musste das Kartell von Texis eine Allianz mit der örtlichen Jugendbande Los Fulton Locos Salvatrucha eingehen, einer Unterabteilung der gefürchteten Mara Salvatrucha. Die Bande hat hier rund 200 junge Männer unter Waffen und kontrolliert Nueva Concepción und Umgebung. Die Jungs sind mit Kriegsgerät ausgestattet. Bei einer Razzia der Armee im Mai 2010 wurden Sturmgewehre vom Typ AK-47 und G-3 beschlagnahmt, Uzi-Maschinenpistolen und sogar ein Granatwerfer vom Typ M-79.
In Honduras und Guatemala gibt es solche Allianzen nicht. Maras treten gemeinhin martialisch auf, liefern sich blutige Schlachten mit gegnerischen Jugendbanden und widmen sich nicht nur dem Drogenhandel, sondern genauso Entführungen, Erpressungen und Auftragsmorden. Kleinkartelle dagegen wollen Ruhe in ihrem Bezirk und legen Wert auf Diskretion. Sie vertreiben deshalb nach Möglichkeit die Radaumacher aus ihrem Einflussbereich. Doch die Gang von Nueva Concepción ist zu stark. El Burro und seine Partner mussten gemeinsame Sache mit den Fulton Locos machen. Wie eng die Zusammenarbeit ist, steht in einem Bericht von verdeckten Ermittlern. Danach hat «El Burro die Verschickung von vierzig Mitgliedern der Mara Salvatrucha in ein Lager der Zetas in La Laguna del Tigre in Guatemala koordiniert. Sie sollten dort eine militärische Ausbildung erhalten.» Die Zetas sind das blutrünstigste der mexikanischen Grosskartelle. Die Gruppe wurde von ehemaligen Elitesoldaten der mexikanischen und guatemaltekischen Armee aufgebaut.
Schlemmen mit dem Polizeichef
Doch nicht nur zu solchen dunklen Gestalten pflegte El Burro gute Beziehungen. Er setzte sich auch mit der anderen Seite an den Tisch, besonders gerne hatte er dabei saftige Steaks. In Santa Ana wurde er von verdeckten Ermittlern zweimal mit Victor Manuel Rodríguez gesehen, dem Polizeichef der Provinz: einmal im Restaurant Lover’s Steak House, später im «El Ganadero» gleich bei der Viehmesse. Das eine Mal soll der Drogenhändler um die Versetzung eines Regionalleiters der Polizei gebeten haben, weil der sich nicht bestechen lasse. Im «El Ganadero» habe ein dickes Bündel mit Geldscheinen den Besitzer gewechselt.
Fritz Dennery Martínez, der Vorgänger von Rodríguez im Amt des Polizeichefs von Santa Ana, war zum nationalen Chef der Einheit zur Bekämpfung der Drogenkriminalität aufgestiegen und hat sich als solcher mehrmals mit El Burro in dessen Hacienda El Rosario getroffen. Einmal sollen dabei auch drei Vertreter der Zetas mit am Tresen gesessen haben. Über Dennery Martínez notierten die verdeckten Ermittler: «Er ist Teil des Netzes der Drogenhändler im Westen des Landes. Mehrere Zeugen geben an, er habe grosse Summen von Bargeld und Fahrzeuge erhalten. Er gibt diesem Netz Informationen weiter und ist dafür zuständig, die Drogenrouten im Westen El Salvadors frei zu halten.» Mit anderen Worten: Er informierte das Kartell von Texis vorab über Kontrollsperren an der Strasse oder liess diese abziehen, bevor ein Drogentransport passierte. Trotz dieser Aktenlage wurde er im Juni zum Polizeichef der Ostregion des Landes befördert.
Nach Nueva Concepción teilt sich die Drogenroute in viele verschiedene Stränge auf. Alle verlassen sie die Provinz Chalatenango und nähern sich über das benachbarte Departement Santa Ana der guatemaltekischen Grenze. Der südlichste Weg führt über Texistepeque zu den Grenzübergängen San Antonio Pajonal und Santiago de la Frontera, der mittlere über Masahuat zum Lago de Guija (Kieselsee), wo Fischer gegen gute Bezahlung nachts Drogen auf die guatemaltekische Seite transportieren. Auf der nördlichen Route erreicht man über Metapán eine ganze Reihe von kleinen Grenzübergängen, die wie der Anfang des Wegs in San Fernando allenfalls tagsüber von einem oder zwei Soldaten lässig im Auge behalten werden. Gegen zehn US-Dollar Schmiergeld oder ein Mittagessen drücken diese Grenzwächter beide Augen zu, wissen verdeckte Ermittler.
Verkaufsstelle für Milchprodukte
Auf der guatemaltekischen Seite übernimmt dann ein Kleinkartell die Ware, das sich Los Temerarios (Die Verwegenen) nennt. Bis vor kurzem wurde es von José Arturo Silva, genannt El Enano (Der Zwerg) kommandiert. Doch in der Nacht zum 12. September, als die salvadorianische Polizei die Hacienda El Rosario durchsuchte, stürmte eine guatemaltekische Antidrogeneinheit das Landgut von El Enano ausserhalb des Städtchens Jutiapa. Sie fand dort ein Lager voller Kokain, getarnt als Verkaufsstelle für Milchprodukte. El Enano – im bürgerlichen Leben ein grosser Viehzüchter – wurde verhaftet.
Sein Vorgänger an der Spitze des Kleinkartells war Manuel de Jesús Castillo, der wegen seiner geringen Körpergrösse unter Drogenhändlern Manolito genannt wird. Der war Bürgermeister von Jutiapa und Abgeordneter im guatemaltekischen Parlament. 2010 wurde er zu 203 Jahren Haft verurteilt, weil er im Februar 2007 den Chef der polizeilichen Sondereinheit für organisiertes Verbrechen zum Mord an drei rechten salvadorianischen Abgeordneten im zentralamerikanischen Parlament angestiftet hatte. Hintergrund dieser nie richtig aufgeklärten spektakulären Tat war der Streit um eine Ladung Kokain. Ein Jahr nachdem Manolito Castillo für immer im Gefängnis verschwunden war, wurde sein Bruder Carlos Enrique zum Bürgermeister von Jutiapa gewählt. Der wiederum ist am 15. Januar vergangenen Jahres auf dem Stuhl seines Coiffeurs erschossen worden; ein bislang ungeklärter Fall.
So wild geht es nur in der Drogenhändlerszene des Grenzgebiets zu. Die Wegrechte im Zentrum Guatemalas, an der pazifischen Küste und am schmalen karibischen Streifen sind seit Jahrzehnten fest in der Hand von fünf Familien. Man kennt ihre Namen, doch was ihr Strafregister angeht, sind es unbescholtene Bürger. Auch sie sind Besitzer von Ländereien, Hotels und Fussballmannschaften, auch sie sind bestens verknüpft mit Politik und Sicherheitskräften.
Nur den Norden des Landes beherrschen sie nicht. Dort haben sich längst die wirklichen Bosse des Drogengeschäfts festgesetzt: die Grosskartelle aus dem Nachbarland Mexiko. Sie haben das Kokain in Kolumbien bestellt, sie bringen es weiter auf den Markt in den USA. Wo ihr Einflussbereich beginnt, endet die Macht der kleinen Dienstleistungskartelle. Im dichten Urwald der Provinz Petén im Nordosten Guatemalas warten die Zetas auf die Ware, die Provinzen Huehuetenango und San Marcos im Nordwesten werden vom Sinaloa-Kartell beherrscht.