Fussball und andere Randsportarten: Besser spät als nie
Etrit Hasler kommt belgischem Fussball näher – und seinem Vater.
Ich habe ja wirklich versucht, mich von Sport fernzuhalten in der Weihnachtspause. Was natürlich gehörig schiefging. Was, wenn ich ehrlich bin, weniger daran lag, dass ich keine Lust gehabt hätte, den Spengler Cup zu schauen, als daran, dass mein Vater sich nicht davon abbringen liess, unbedingt die Wiederholungen der grössten Tennisturniere des letzten Jahres am Fernsehen zu schauen. Jegliche Versuche, auch nur für ein paar Minuten des Enddrittels den Kanal zu wechseln, wurden mit einem patriarchalen Grummeln unterbunden. Das muss man verstehen. Mein Vater ist Albaner. Dem kommen nur «richtige» Sportarten ins Haus. Beziehungsweise auf den Bildschirm. Also Fussball und Tennis.
Das geht so weit, dass er selbst dann, wenn er auf dem Sofa eingeschlafen ist und selig vor sich hinschnarcht, während seine Lesebrille noch knapp an der Nasenspitze hängt, sofort erkennt, wenn sich da irgendjemand an der Fernbedienung zu schaffen macht. Da ist der Kanal schneller wieder umgeschaltet, als jemand sagen kann: «Ich wollte doch nur kurz die Zusammenfassung anschauen!» Eine bewundernswerte Fähigkeit, mit Sicherheit.
Das ist ja alles auch gar nicht weiter wild. Ich sehe meine Familie genau einmal im Jahr. Da gibt es Wichtigeres als Sport am Fernsehen. Und in einer postmodernen Patchworkfamilie ist es wohl das Normalste auf der Welt, wenn sich die Entfremdung der Generationen gerade in solchen Banalitäten äussert. Das ist mir jedenfalls zu allen Zeiten lieber, als mit ebendiesen Menschen über Politik zu diskutieren. Nicht zuletzt wegen des emotionalen Sprengpotenzials, wenn eine Buddhistin, zwei getaufte Katholikinnen, ein Muslim mit Hang zum Atheismus, eine Agnostikerin und ein spirituell eher geheimniskrämerisch veranlagter Mensch ein Kopftuchverbot debattieren. Spannend ist das durchaus.
Mein Vater ist übrigens Arzt. Was natürlich dazu führt, dass er mit einem analytischen Geist an jegliche Sportart herangeht. Und vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass er den klinischen Sportarten Fussball und Tennis mehr abgewinnen kann als dem anarchisch-rüpelhaften Eishockey. Und wie die meisten Albaner verfolgt er den Aufstieg unserer Landsleute in die Elite des europäischen Fussballs mit der Genugtuung dessen, dem die Geschichte recht gibt. Vor zwanzig Jahren, als mein Vater als politischer Flüchtling nach Belgien kam, wusste noch kein Schwein in Europa, wo oder was der Kosovo ist. Heute weiss man weitherum: Dort kommen die Fussballer her. Aus Pristina, aus Gjilan oder aus Gjakova. Erfüllt ihn das mit Stolz? Mit Sicherheit.
Und wie Väter so sind, versuchen sie dann, die verschiedenen Dinge, auf die sie stolz sind, miteinander in Verbindung zu bringen. Einer seiner Freunde in Belgien ist Besnik Hasi, Assistenztrainer des belgischen Rekordmeisters RSC Anderlecht. Und wenn Sie jetzt sagen: «Belgischer Fussball, was soll das denn sein?», dann warten Sie bloss auf die WM diesen Sommer. Die «roten Teufel» sind ohne Zweifel der Geheimfavorit des Turniers. Sagt zumindest mein Vater. Und der muss es ja wissen.
Jedenfalls nahm mich mein Vater mit zu einem Heimspiel des RSC Anderlecht. Wir haben zusammen Bier getrunken. Die gegnerischen Fans ausgelacht. Mit den Frauen der Spieler geschäkert. Und er hat mir Besnik Hasi vorgestellt.
Letzteres fand ich zwar ähnlich spannend wie die Wiederholung eines Tennismatchs aus dem letzten Jahr, aber das liegt vielleicht einfach daran, dass die meisten Fussballtrainer nur gerade über Fussball reden. Doch das war auch nicht weiter wichtig. Denn wichtig ist nur dies: Ich bin 36 Jahre alt. Ich habe vor zwei Wochen zum ersten Mal in meinem Leben ein Fussballspiel zusammen mit meinem Vater gesehen. Wenn Sie selber Kinder haben – oder Eltern – und das bisher versäumt haben: Holen Sie es nach. Es tut gut.
Etrit Hasler ist sonst nicht so sentimental. Aber Weihnachten tuts ihm manchmal an.