«12 Years a Slave»: Wir sollen sein Gesicht nie mehr vergessen
Mit dem Drama «12 Years a Slave» zeichnet Steve McQueen die Lebensgeschichte des Sklaven Solomon Northup alias Platt nach. Er schliesst damit an Steven Spielbergs «Lincoln»-Biografie und «Django Unchained» von Quentin Tarantino an.
Der Afroamerikaner Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) lebt in den 1840er Jahren mit Frau und Kindern als freier Bürger in Saratoga, New York. Zwei Weisse entführen ihn auf ein Sklavenschiff nach Louisiana. Northup wird verkauft, er bekommt den Namen Platt und landet bei einem gottesfürchtigen Master, der am Sonntag zu seinen SklavInnen predigt.
Mit konstruktiven Ideen und handwerklichem Geschick hebt sich Platt von den primitiven «Niggern» aus dem Süden ab, denen jede Bildung verwehrt wird, um sie unmündig zu halten. Er gewinnt die Sympathie seines Masters, der ihm eine Geige schenkt. Die fiedelt fortan als Symbol seiner gehobenen Ausbildung durch den Film.
Als Platt verkauft wird, eskaliert die Gewalt. Der Geschundene landet auf der Baumwollplantage des berüchtigten «Niggerbreakers» Edwin Epps. Diesen gibt Michael Fassbender als durchgeknallten Manisch-Depressiven, der seine Sklaven mit sadistischer Hingabe foltert.
Versklavung und Befreiung
Regisseur Steve McQueen – Brite mit Vorfahren aus Grenada – zeigt die Torturen in epischer Breite: Hiebe, Tritte, Auspeitschungen, Schüsse, Lynchmorde, sexuelle Gewalt. Das Unentrinnbare der Situation ist das Beklemmende an «12 Years a Slave». McQueen gestattet seinem Protagonisten keine offene Rebellion. Für die ZuschauerInnen ist das Fass längst übergelaufen, da übt sich Platt noch immer in Selbstdisziplin, Widerstand könnte tödlich sein. Die Schmerzen dieses Sich-am-Riemen-Reissens spiegeln sich im schweissnassen Gesicht des Schauspielers – eine massive Performance.
Fluchtversuche scheitern, die Hoffnung geht dahin. Bis eines Tages Samuel Bass (Brad Pitt) auftaucht, ein weit gereister Architekt, der Epps über die Menschenrechte belehrt. Der Menschenrechtler Pitt spielt gewissermassen sich selbst. Als Koproduzent des Films weiss er auch, dass der Schauspieler Pitt Kasse macht. In Italien sah man das ähnlich. Da grüsste statt des Hauptdarstellers Ejiofor der Nebendarsteller Pitt vom Filmplakat, der Shitstorm blieb nicht aus.
Pitt rettet schliesslich den widerrechtlich versklavten Northup/Platt. Nach zwölf Jahren ist er frei, die «legalen» SklavInnen bleiben zurück. Als er die Plantage verlässt, gibt es im Kinosaal Applaus, ungewöhnlich in einer Pressevorführung, man kennt das eher aus dem Flugzeug nach der Landung. Ein Klatschen der Erleichterung darüber, dass endlich Recht geschieht, erzwungen von einem weissen Mann.
Doch der Film gewährt keine Erleichterung. Northup, schwer traumatisiert, kämpft den Rest seines Lebens um Rehabilitation. «12 Years a Slave» bleibt Drama ohne Wohlfühlaspekt. Ein Happy End versagt sich McQueen ebenso wie psychologisch entlastende Racheakte, die Tarantinos «Django Unchained» so geniessbar machten.
Freiheit und neue Sklaverei
Der konventionell erzählte Film lässt sich quälend viel Zeit, um zu zeigen, wie sie vergeht, wenn einer gequält wird. Die Sonne brennt auf das sumpfige Louisiana, Schweiss rinnt, die Kehle trocknet aus, einer hängt am Strick, die Fussspitzen so gerade auf dem Boden. Der Film gönnt sich auch zweiminütige Grossaufnahmen des Gesichts von Chiwetel Ejiofor – wir sollen es nie mehr vergessen. Vielleicht gönnt er sich manchen Blick zu viel auf die schlingpflanzenartigen Bäume dieser halluzinösen Landschaft.
In den «southern trees» meint man «strange fruit» zu erkennen, vom Ku-Klux-Klan gelynchte «Nigger», die wie in Billie Holidays Song als seltsame Früchte in den Bäumen hängen. McQueen würde «Strange Fruit» nie einsetzen, das wäre ein viel zu derbes Zeichen. Die Musik kommt von Hans Zimmer. Der Oscar-Preisträger beherrscht die Klaviatur der «all american soul». Da verschmilzt Zimmers Score mit dem Gefiedel des Sklaven Platt alias Northup. Dieser hatte Geige gelernt, um sich den humanistischen Kanon anzueignen, «Nigger» Platt muss nun den SüdstaatlerInnen den Square Dance fiedeln.
«12 Years a Slave» hat bei den Golden Globes abgeräumt, er wird Oscars gewinnen und an Schulen gezeigt werden. SchülerInnen gehen nicht so gern in Filme, die sie von der Schule aus sehen müssen. Sie sehen lieber Filme, in denen Sklavenhalter leiden müssen, bevor sie zu greller Musik von 2Pac, Rick Ross oder Kanye West fertiggemacht werden.
West hat vergangenes Jahr die Diskussion, die Spielbergs «Lincoln» und Tarantinos «Django Unchained» ausgelöst hatten, mit seinem Song «New Slaves» aktualisiert. «They tryna lock niggas up / they tryna make new slaves / See that’s the privately owned prison / get your piece today». In der privaten Gefängnisindustrie sieht West die neue Sklaverei. Heute seien mehr AfroamerikanerInnen inhaftiert, als es um 1850 SklavInnen gab. Zwischen 1970 und 2005 sei die Zahl der Inhaftierten um 700 Prozent gewachsen, davon seien überdurchschnittlich viele AfroamerikanerInnen. Hält dieser Trend an, dann wird einer von drei schwarzen Männern, die heute geboren werden, im Gefängnis landen.
Für ein plakatives Grossmaul wie Kanye West ist in «12 Years a Slave» kein Platz – dafür kann der Film an Schulen gezeigt werden.
12 Years a Slave. Regie: Steve McQueen. USA 2013. Ab 23. Januar 2014 in den Kinos