Kurdische Selbstverwaltung : Frauenquoten in Nordsyrien
An der Friedenskonferenz am Genfersee sind neben den syrischen Frauen auch die KurdInnen untervertreten. Dies ist nicht zuletzt eine Folge der kurdischen Zerstrittenheit.
In der nordsyrischen Stadt Kamischli wurde am Dienstagnachmittag die Demokratische Autonomie von Westkurdistan ausgerufen. Nicht zufällig geschah dies am Tag vor dem Start der Syrienfriedenskonferenz in Montreux und Genf. Das Ziel der an der Konferenz vertretenen Opposition ist es, einen ersten Schritt hin zu einer syrischen Übergangsregierung zu machen. In Nordsyrien haben Teile der kurdischen Mehrheit sowie der arabischen und assyrischen Minderheiten gerade eine eigene regionale Übergangsregierung gebildet.
Drei Kantone
Damit versucht die grösste ethnische Minderheit Syriens (die KurdInnen machen über zehn Prozent der Bevölkerung aus), zu Hause Fakten zu schaffen, bevor am Genfersee möglicherweise Beschlüsse gefasst werden, auf die sie praktisch keinen Einfluss hat. «Ohne unabhängige kurdische Vertretung erwarte ich überhaupt nichts von der Konferenz», sagte Ilham Ahmed. Sie ist eines von zehn Vorstandsmitgliedern im Hohen Kurdischen Komitee (HKK), einem Oppositionsbündnis und Verwaltungsorgan von KurdInnen in Syrien, das die Bildung der neuen Übergangsregierung vorangetrieben hat. Faktisch besteht in Nordsyrien bereits seit über zwei Jahren eine Selbstverwaltung.
Letzten Freitag sass Ahmed im Café Fédéral in Bern, direkt neben dem Bundeshaus. «Wir wollen ein demokratisch-föderalistisches System nach dem Vorbild der Schweiz», sagte die 41-Jährige. Kein Wunder, besteht das ausgerufene Westkurdistan aus drei Kantonen, in denen zwei bis drei offizielle Sprachen gelten sollen und deren Behörden ethnische und – über das Schweizer Vorbild hinausgehende – geschlechtliche Quoten erfüllen müssen.
Die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte, die in diesen Tagen am Verhandlungstisch in Genf sitzt, vertrete hingegen ein politisches System, das sich nicht wesentlich vom heutigen unterscheide, sagte Ahmed: «Diese Kräfte würden einfach die Personen an der Macht austauschen.» Es gehe ihr letztlich um die «Befreiung der Gesellschaft» – und das heisse in Nordsyrien die Befreiung der Frauen und der KurdInnen. Ihre Organisation wollte eigentlich der Nationalen Koalition beitreten. Doch deren VertreterInnen hätten die Forderungen abgelehnt, die KurdInnen offiziell anzuerkennen und eine Selbstverwaltung zuzulassen.
Gefährliche Macht
Ilham Ahmed ist deshalb nicht als Vertreterin der KurdInnen, sondern als eine der syrischen Frauen in der Schweiz. Sie gehört zu den fünfzig Politikerinnen, die fordern, dass Frauen im Friedensprozess mehr Mitbestimmung erhalten. Sie beobachtet die Konferenz im Rahmen eines Komitees der UN-Frauen; dieses wird den Verhandlungsparteien Empfehlungen für den weiteren Prozess unterbreiten. Als Frau und als Kurdin sei sie vom Regime doppelt unterdrückt worden. «Ich musste als Kind oft mit ansehen, wie mein Vater misshandelt und festgenommen wurde, weil er die Steuern nicht bezahlen konnte», sagte Ahmed. «Ich habe schon damals gelernt, dass Machtmissbrauch etwas Gefährliches ist. Das hat mich politisiert.»
Doch auch unter den KurdInnen gibt es gefährliche Machtspiele. Das HKK ist der halbwegs gescheiterte Versuch, die zwei grossen, divergierenden kurdischen Politlinien zu einen. Auf der einen Seite steht die Partei der Demokratischen Union (PYD), die bereit ist, sich mit dem syrischen Regime zu arrangieren, wenn dieses den KurdInnen Selbstverwaltung gewährt. Sie dominiert die syrisch-kurdische Politik und auch das HKK. Auf der anderen Seite stehen fünfzehn Parteien, die sich im Kurdischen Nationalrat zusammengeschlossen haben und sich keine Zukunft unter dem Regime von Baschar al-Assad vorstellen können. Sie werfen der PYD Klüngelei mit dem Regime vor und verlangen eine bessere Vertretung im HKK und in der Übergangsregierung.
Ilham Ahmed ist parteilos, aber im Vorstand der PYD-nahen Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft (Tev-Dem). Den anderen Parteien wirft sie vor, einen «kurdischen Nationalismus» zu vertreten. Das mutet etwas ironisch an, da nun zwei Vertreter des kurdischen Nationalrats innerhalb der Delegation der syrischen Nationalen Koalition an den Friedensverhandlungen teilnehmen sollen – und dies, obwohl auch Nationalratspolitiker nicht daran glauben, dass sie die Friedensgespräche im Sinn der KurdInnen beeinflussen können.
Immerhin gehen die kurdischen PolitikerInnen darin einig, dass ihre Interessen im laufenden Friedensprozess zu kurz kommen. Absehbar ist aber auch, dass die ausgerufene Autonomie die KurdInnen weiter spalten wird. Denn der Kurdische Nationalrat ortet auch da eine übermässige Dominanz der PYD und unterstützt die Übergangsregierung nicht.