Durch den Monat mit Ekin Yilmaz (Teil 3): Sie sehen schwarz?

Nr. 12 –

Ekin Yilmaz, Studentin und Kopräsidentin der Vereinigung Second@s Plus, über ihr Clubleben und die Frage, wie demokratisch unser System überhaupt ist.

Ekin Yilmaz: «Eine solche Abstimmung zeigt: Die wollen uns hier nicht als Gleichberechtigte. Aber dann kriege ich unterstützende E-Mails und bin wieder fröhlich.»

Ekin Yilmaz: Darf ich Sie etwas fragen, bevor wir beginnen?

WOZ: Klar. Worum geht es?
Die Fotos der bisherigen Interviews sind sehr gut, aber ich sehe wahnsinnig ernst aus. Dabei vergröle ich mich ständig. Der Fotograf sagte zu mir: «Jetzt bitte für einmal nicht lachen.» Ich sagte: «Das kann ich gar nicht.» Ich habe mich dann zusammengerissen, und jetzt erscheinen nur diese ernsten Fotos. Das bin ich nicht. Macht in der Schule ein Schüler einen Witz, bin ich häufig die, die am meisten lacht.

Ihre Schüler reissen Witze im Unterricht?
Kürzlich fragte mich einer: «Was kommt an der Prüfung, Frau Yilmaz?» Ich sagte: «Ich habe die Prüfung noch nicht geschrieben.» Er antwortete: «Macht nichts, ich habe auch noch nicht gelernt.» Ich hab mich kaputtgelacht.

Sie haben gesagt, man nenne Sie Politikerin mit Migrationshintergrund, aber Sie seien noch nie emigriert. Sie hätten es nicht mal von Arbon weg geschafft. Wo wohnen Sie in Arbon?
Im Haus meiner Eltern.

Bei den Eltern?
Alle finden das komisch. Aber ich bin sowieso fast nie zu Hause, und ich kann dort machen, was ich will. Und mir gefällt es, wenn ich nach Hause komme und Mama hat gekocht.

Sie sind ein Bünzli!
(Lacht lange.)

Gehen Sie am Wochenende in einen Club?
Wenn, dann gehe ich in eine Bar. Ich bin zwar erst 25, aber das Clubleben habe ich hinter mir: Alle betrunken, man kann nicht miteinander reden. Verdammt, klinge ich vernünftig! Aber nach meinem intensiven Wochenprogramm mit Uni, Job, Einbürgerungskommission, Parlament, Fraktion, Second@s Plus bin ich freitags häufig froh, meine Ruhe zu haben. Und einen Tag pro Woche will ich mir Zeit nehmen für meine Tanten, für meine Cousinen.

Die leben alle in Arbon?
Wir haben Arbon eingenommen! Als der Grossvater vor über dreissig Jahren aus der Türkei in diese kleine Industriestadt kam, fand er bei Forster Arbeit. Sie sagten zu ihm: «Hast du nicht noch ein paar starke Söhne? Wir brauchen Leute wie dich! Am liebsten noch heute!» Also kamen die Söhne, dann die Grossmutter, die Töchter, insgesamt acht. Und mein Vater, der meine Mutter damals schon kannte, kam auch. Eigentlich war der Plan, Geld zu verdienen und dann zurück in die Türkei zu gehen.

Keiner ging zurück?
Keiner. Nicht einmal die Grosseltern, obwohl die am Anfang in der Türkei noch Land kauften. Aber schon meine Eltern und ihre Geschwister wussten bald: Wir gehen nie mehr zurück. Meine Tanten arbeiten hier als Lehrerinnen, Sozialarbeiterinnen, meine Eltern in der Fabrik. Sie sind happy.

Der Familiennachzug wird nun erschwert oder sogar verunmöglicht.
Horror.

Anlässlich der Leipziger Buchmesse protestierten Schweizer Schriftstellerinnen und Schriftsteller gegen das Abstimmungsergebnis der Einwanderungsinitiative. Viele, auch Journalisten, empörten sich: Den Entscheid zu kritisieren, sei undemokratisch.
Höchstens die Kritik an dieser Kritik ist undemokratisch. Man muss einen Entscheid akzeptieren, aber kritisieren darf man immer. Wo leben wir denn? Zudem sorgt ja unsere angeblich unvergleichliche und hochgehaltene direkte Demokratie dafür, dass ein Fünftel der Bürger in diesem Land nicht mitstimmen darf. Steuern zahlen ja, mitentscheiden nein. Ich frage: Wer ist hier undemokratisch? Manchmal sehe ich ziemlich schwarz.

Sie sehen schwarz?
Ich stecke mega viel Energie in die Politik, dann kommt eine derartige Abstimmung, die zeigt: Die wollen uns hier wirklich nicht als gleichberechtigte Teilnehmer der Gesellschaft. Aber dann kriege ich unterstützende E-Mails und bin wieder fröhlich. Was war die Frage?

Keine Frage.
Dass so wenige Frauen in der Politik sind, entmutigt mich manchmal auch. Der Vorstand von Second@s Plus: alles Männer. Die Juso wählten gerade zum wievielten Mal in Folge einen Mann zum Präsidenten? Wie auch immer. Am meisten nerven mich jene Linken, die sagen: «Man muss die Ängste wegen der Ausländer ernst nehmen.» Wer bitte nimmt denn unsere Ängste ernst? Sind wir Secondos kein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft? Im Gegensatz zu abstrakten Das-Boot-ist-voll-Ängsten werden unsere Ängste immer existenzieller: Kann es sein, dass ich hier geboren bin und trotzdem ausgeschafft werde in eine angebliche Heimat, mit der mich nichts verbindet? Dass ich keine Arbeit kriege, wenn das Kontingent erfüllt ist? Kürzlich rief mich eine Maturandin an, eine junge Ausländerin, die Medizin studieren will. Sie will sich nun so schnell wie möglich einbürgern lassen, weil sie fürchtet, sonst keine Stelle zu bekommen. Sie ist neunzehn und bangt seit dem 9. Februar um ihre berufliche Existenz. Das sind Ängste, die man ernst nehmen muss.

Ekin Yilmaz (25) ist in Arbon geboren und studiert in Zürich Französisch und Spanisch.
Sie ist SP-Stadtparlamentarierin und Kopräsidentin der Vereinigung Second@s Plus.