Harry Partch «Delusion of the Fury»: Vom Ruhrgebiet zur Rhone

Nr. 12 –

Die Gelegenheit ist einmalig: Nur ein Satz von Harry Partchs selbstkreierten fragil-fantasievollen Instrumenten existiert ausserhalb des Museums. Wie er tönt, lässt sich jetzt in Genf erkunden.

Für die Ruhrtriennale 2013 liess der Komponist und Musiker Heiner Goebbels alle Instrumente nachbauen, die der US-amerikanische Komponist Harry Partch (1901–1974) ab 1929 gebaut hatte. Ursprünglich spielte Partch Piano, Orgel, Gitarre und Klarinette und komponierte. Bis er die Noten und Notizen zu seinen Kompositionen aus vierzehn Jahren in New Orleans in einen Ofen steckte und in Rauch aufgehen liess. Daraufhin machte sich Partch – zeit seines Lebens ein Solitär – befreit von allem Ballast auf in Richtung einer neuen und anderen Musik. Er suchte das Unakademische, das Ortlose in der Musik und konzentrierte sich auf die reine Stimmung («just or pure intonation»). Dazu unterteilte er die Oktave in eine Skala von 43 Tönen und begann, passende Instrumente zu bauen.

Er sei vom Musiker zum Schreiner geworden, schrieb Partch im Begleittext zur LP-Box des Musiktheaters «Delusion of the Fury», die 1971 erschien. Die Uraufführung des Werks fand im Januar 1969 in Los Angeles statt. An diesem Werk, dessen Titel vielerlei Übersetzungen zulässt, hatte er zwischen 1963 und 1969 gearbeitet, also in einer Zeit, als die Beatles mit «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band» und die Beach Boys mit «Pet Sounds» wegweisende Werke der Popgeschichte veröffentlichten.

«Delusion of the Fury», das zuerst den Titel «Cry from Another Darkness» trug, sollte eines der letzten und umfangreichsten Werke von Partch werden, für das er nochmals neue Instrumente schuf und alte modifizierte. Sein Instrumentarium war, ohne die kleinen zu zählen, auf 27 angewachsen. Sie waren von skurriler Schönheit, fragile Schöpfungen aus Glas, Holz, Metall, Bambusrohren, Kalebassen und anderen Materialien.

Chromelodeon, Kithara und andere

Partch verlieh ihnen zauberhafte Namen, die herkömmliche Instrumente anklingen lassen, aber rätselhaft bleiben und eigenwillige Intonationen möglich machen: Chromelodeon, Kithara, Marimba Eroica, Cloud Chamber Bowls, Zymo-Xyl – ihnen lässt sich ein unerhörter und wenig gehörter Klangreichtum entlocken. Die grosse Marimba Eroica zum Beispiel produziert Klänge aus einem für uns nicht hörbaren Bereich; man spürt sie eher im Magen. Heute würde man von Subbässen reden, damals konnten Lautsprecher so was noch nicht wiedergeben.

Alleiniger Nachteil: Der einzige komplette Satz seiner Instrumente, die nur schwierig zu transportieren sind, lagert in den Räumen des Harry Partch Institute der Montclair University in New Jersey.

Aber nicht nur deshalb wurden die Werke von Harry Partch, der neben Conlon Nancarrow (1912–1997) zu den originellsten Köpfen der Musikgeschichte gehört, auch in den USA selten aufgeführt. Es brauchte MusikerInnen dazu, die bereit waren, diese zu spielen und ihre konventionellen Instrumente und das zugehörige Wissen etwas auf die Seite zu legen. Goebbels, der seit 2012 künstlerischer Leiter der Ruhrtriennale ist, hat sie im Kölner Ensemble Musikfabrik gefunden und in zwei langen Jahren die Instrumente, die eine andere Körperlichkeit erfordern, für sie nachbauen lassen. «Delusion of the Fury», in dem alle von Partch gebauten Instrumente zum Einsatz kommen, hatte im vergangenen August in der Jahrhunderthalle Bochum seine europäische Premiere.

Wie bei Goebbels nicht anders zu erwarten, hat er aus dem Stück, das als Musiktheater angelegt ist, ein Spektakel für alle Sinne gemacht und dabei etwas mehr Theater reingebracht. Die 22 beteiligten MusikerInnen singen, spielen und tanzen, agieren mit Spass auf der Bühne. Die Instrumente genügen als Kulisse, und den Rest besorgt die einfühlsame Lichtregie von Klaus Grünberg. Einzig den von Partch vorgesehenen Dirigenten hat Goebbels – wie so oft – weggelassen. Er selbst hält sich diskret, aber aufmerksam im Hintergrund und ist um jedes Detail besorgt.

Die Musik entgleitet

In einem Youtube-Film meint Heiner Goebbels zu «Delusion of the Fury»: «Es ist ein buntes Stück, das seine Ungreifbarkeit behält. Im ersten Akt eher eine Tragödie oder eine Versöhnung nach einem Drama, im zweiten eine Farce.» Die Geschichte erinnert an einen verschachtelten Traum und ist kaum nachzuerzählen. Partch hat darin japanische und afrikanische Elemente sowie seine Wanderjahre als Hobo zur Zeit der grossen Depression in den USA mit seiner eigenständigen Musik verwoben.

«Die Musik entgleitet immer wieder. Ich glaube auch nicht, dass sich Partch so genau festlegen wollte», meint Goebbels dazu. «A Ritual of Dream and Delusion» lautet der Untertitel von Partch, also ein Ritual von Traum und Täuschung. Und das ist es auch bei Goebbels über vier Jahrzehnte später geworden. Das Grand Théâtre Genève hat die Chance gepackt und die Grossproduktion aus dem Ruhrgebiet für zwei Aufführungen an die Rhone eingeladen.

An den Anfang der Partitur zu «Delusion of the Fury» schrieb Partch: «Worte können nicht annäherungsweise beschreiben, was zu hören und zu sehen sein wird.» Also gibt es nur eins: hingehen. Die Chance kommt nicht so rasch wieder.

Das Musiktheater «Delusion of the Fury» 
von Harry Partch, in der Inszenierung von Heiner Goebbels mit dem Ensemble Musikfabrik 
aus Köln, ist im Bâtiment des Forces Motrices in Genf am Freitag und Samstag, 28. und 29. März 2014, um 19.30 Uhr zu hören und zu sehen. 
www.geneveopera.ch.