Fussball und andere Randsportarten: Notwehrwissen für WM-Geplagte

Nr. 24 –

Etrit Hasler gibt Tipps für Fussballmuffel während der WM

Alle vier Jahre wieder oder so. Natürlich, die WM ist ein Weltevent, und so ein Ding, das die Menschen auf der ganzen Welt gleichzeitig vor die Bildschirme fesselt, hat ja etwas Völkerverbindendes. Falls Sie allerdings dem Gefühl, dem kollektiven Wahnsinn zu erliegen, nicht viel abgewinnen können und auch nicht migrationsbedingt einer bestimmten Mannschaft Gehorsam schulden, ist das auch in Ordnung. Nur ist es in den letzten Jahren immer schwieriger geworden, sich dem Turnier zu entziehen. Aber es funktioniert, wenn man sich nur ein bisschen Mühe gibt. Ein paar Tipps.

1. Bleiben Sie unter keinen Umständen zu Hause. Es wird ein heisser Sommer werden, und wenn Sie abends bei offenem Fenster allein auf dem Sofa hocken und sich verzweifelt durch die Kanäle zappen auf der Suche nach fussballfreien Zonen (ich warne Sie jetzt schon, die gibt es nicht) oder, noch schlimmer, sich die gesammelten Staffeln von «Breaking Bad» reinziehen, weil Sie das Ende immer noch nicht gesehen haben (wohl weil Sie unter einem Stein wohnen oder Kinder haben), werden Sie sich nur noch einsamer und durch das dauernde Gejubel aus Quartierbeizen und von Dachterrassen noch viel genervter fühlen.

2. Gehen Sie also raus. Wenn Sie eine Beiz suchen, in der Sie nicht zwangsweise einer Liveübertragung ausgesetzt werden, dann ist die beste Zeit dafür kurz nach Anpfiff (18 Uhr oder 21 Uhr). Falls Sie um diese Zeit Menschen sehen, die VOR der Beiz herumstehen, dann sind Sie entweder schon fündig geworden – oder das sind Menschen, die Ihre Abneigung teilen. Schliessen Sie sich also mit denen zusammen, und suchen Sie weiter. Früher oder später haben Sie Ihre fussballfreie Beiz, oder Sie sind so viele geworden, dass Sie ein Lokal schlichtweg übernehmen können und die ganzen Fussballfans rausschmeissen. Oder Sie machen einfach mit ihrem Riesenkollektiv selber eine Beiz auf und werden wahrscheinlich steinreich damit. Das hat früher mit den Nichtraucherbeizen auch funktioniert.

3. Besuchen Sie Kulturveranstaltungen. Also «richtige» Kultur. Bloss keine Open-Air- Festivals, da stehen nämlich überall Fernseher rum. Theater ist auch ein bisschen schwieriger, die haben über den Sommer meistens zu. Eine Lesung vielleicht. Ein JLo-Konzert. Oder einen Poetry-Slam. Ich garantiere Ihnen, die Frauendichte wird wesentlich höher sein als sonst und die Tubeldichte tiefer. Ob es einen direkten Zusammenhang zwischen den beiden Phänomenen gibt, müssen Sie selber herausfinden. Falls sich in Ihrer Region niemand traut, Veranstaltungen während der WM auf die Beine zu stellen, machen Sie das halt selbst. Sie haben ja seit Schritt zwei schon ein passendes Lokal dafür.

4. Verschaffen Sie sich Notwehrwissen, also verbale Aikidowürfe, mit denen Sie sich gegen Gespräche über Fussball wehren können. Zum Beispiel kleine Fakten über kuriose Aussenseitermannschaften wie Belgien, die Sie dann mit frei erfundenen Begriffen anreichern. Ein praktisches Beispiel: «Persönlich sehe ich ja nicht ein, wieso Wilmots auf einem hängenden 4–3-3-Mittelkreissystem besteht. Eine strafraumzyklische Fokussierung auf seine Antrittsstürmer Lukaku und Januzaj, kombiniert mit einem Penaltykiller zur Ballverteilung aus den abseitigen Ecken, wäre doch viel effektiver.» Das wird all die Modefans und VielschwätzerInnen, die sich während der WM selbst zu ExpertInnen erklären, in die Flucht schlagen, denn die tun alle nur so, als würden sie etwas von Fussball verstehen. Die etwas einfachere Methode ist, dass Sie jemanden bitten, Ihnen die Offsideregel zu erklären.

5. Harren Sie aus. Verlieren Sie nicht die Geduld. Der Albtraum ist in ein paar Wochen wieder vorbei. Und danach haben Sie immerhin ein paar neue Freunde gefunden. Oder besitzen eine eigene Beiz. Oder beides. Und Sie haben vier Jahre Zeit, sich auf das nächste Mal vorzubereiten.

Etrit Hasler hat jahrelang mit fast religiösem Eifer die Fussball-WM ignoriert. Seit 2005 ist er zwar teilkonvertiert, hat aber immer 
noch grosses Verständnis für seine ehemaligen «Glaubensbrüder».