UigurInnen: Lebenslänglich für Tohti

Nr. 40 –

«Das hasse ich am meisten», hat mir der uigurische Student Soheret einmal gesagt. «Dass ich mir immer wieder von meinen han-chinesischen Kommilitonen anhören muss, dass ich als Angehöriger eines Minderheitenvolks weniger Punkte brauche, um Zugang zu den gleichen Universitäten zu bekommen, und zudem mehr Kinder haben darf.» Soheret nahm mich einmal mit in eine Vorlesung des uigurischen Ökonomen Ilham Tohti, den er sehr bewunderte.

Tohti erläuterte damals, dass man nur einen Blick in das «Statistische Jahrbuch von China» werfen müsse, um zu erkennen, dass die Geburtenrate bei den Han-ChinesInnen in Xinjiang, der Autonomen Region der UigurInnen, höher sei als bei den UigurInnen. Das bedeutet, dass das mit der Vorzugsbehandlung offensichtlich nicht ganz stimmt. Und dass sogar ohne den Zuzug von Han-ChinesInnen der Bevölkerungsanteil der UigurInnen immer weiter sinkt. Tohti nannte dafür noch einen zusätzlichen Grund: UigurInnen würden alles Mögliche versuchen, um sich in eine andere, weniger diskriminierte Minderheit umschreiben zu lassen, als KasachInnen etwa oder als MongolInnen. «Uigure zu sein, ist schwer», seufzte Tohti zum Schluss. Und weil die chinesische Regierung so etwas nicht hören will, wurde er am vergangenen 22. September wegen «Separatismus» zu lebenslanger Haft verurteilt.

Aber bevor die chinesische Zentralregierung die Konflikte durch das Einsperren gemässigter Intellektueller in den Griff zu bekommen versuchte, begann eine Xinjianger Kreisregierung, das «Problem» auf ihre Weise zu lösen: mit Geld. Seit dem 21. August bekommen frisch verheiratete Paare im unruhigen Süden Xinjiangs für die ersten fünf Ehejahre je 10 000  Yuan (1500 Franken) – vorausgesetzt, der eine Teil ist han-chinesisch und der andere gehört einem Minderheitenvolk an. Dazu kommen Vorzüge bei der medizinischen Behandlung, der Wohnungszuteilung und dem künftigen Schulbesuch ihrer Kinder.

Abgesehen davon, dass letzte Woche in Xinjiang alle unverheirateten Han-ChinesInnen von ihren Freunden, Bekannten und ArbeitskollegInnen mit «Hoho! Du hast es gut! Du kannst sie dir noch holen, die 50 000 » und ähnlichen Bemerkungen aufgezogen wurden: Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was Soheret fühlt, wenn er sich in Zukunft auch noch anhören muss, dass ihm die Regierung sogar die Mitgift zahlt.

Rainer Schwarz schreibt gelegentlich für die WOZ 
aus Schanghai.