Europäische Jungsozialistinnen: «Unser Protest ist der Humor»
Linke Visionen, Arbeitslosigkeit und eine Annäherung an Syriza – erstmals haben sich die europäischen JungsozialistInnen in der Schweiz versammelt. Der Kongress in Winterthur stand unter dem Stern der anhaltenden Krise.
Juso-Präsident Fabian Molina ist in aufgeräumter Stimmung. Die Sonne scheint von einem stahlblauen Himmel; auf dem Gelände der Winterthurer Fabrikkirche herrscht entspannte Betriebsamkeit. Grüppchen stehen plaudernd zusammen. Drinnen ist das Frühstücksbuffet fast leer gegessen. Die letzten LangschläferInnen bestreichen ihr Brot mit Nutella, während an den langen Tischen des Hauptraums das Tagesgeschäft begonnen hat.
Zum ersten Mal überhaupt fand vergangenes Wochenende ein Kongress der Young European Socialists (Yes) in der Schweiz statt. Molina hat sich zum Gespräch auf den Boden gesetzt. Der 24-Jährige ist ein stolzer Gastgeber. Seit gut zwei Jahren erst ist seine Partei Vollmitglied der Yes. Zuvor war dies den JungsozialistInnen der EU-Staaten vorbehalten gewesen. «Wir sind die einzige Schweizer Jungpartei, die so direkt Einfluss auf Europa nehmen kann», sagt Molina.
«Wir stehen an einem Wendepunkt»
Jungpolitiker Fabian Molina will mehr als dröge Positionspapiere – und ist damit nicht allein: Nach sechs Jahren Austeritätspolitik wächst bei den JungsozialistInnen die Überzeugung, dass Alternativen hermüssen. «Wir sind das soziale Gewissen unserer Mutterparteien», sagt Molina, ehe er ins Getümmel verschwindet.
Ein Anspruch, den wohl niemand besser verkörpert als Laura Slimani, Vorsitzende des französischen Mouvement des Jeunes Socialistes (MJS) und einzige Yes-Präsidentschaftskandidatin. Routiniert posiert die 25-Jährige für den Fotografen. Die Fragen beantwortet sie schnell, pointiert und in geschliffenem Englisch. Slimani hat in Frankreich und Wales Politik studiert. Mit zwanzig Jahren ist sie in die Politik eingestiegen, als Wahlkampfhelferin von François Hollande. Heute sagt die Jungsozialistin: «Wir stehen an einem Wendepunkt: Entweder die klassische Linke ändert sich, oder wir verlieren unsere Glaubwürdigkeit.»
Die Gründe dafür liegen für Laura Slimani auf der Hand: Wo immer die SozialdemokratInnen mitregiert hätten, seien sie zu kompromisslerisch gewesen, findet sie. Man müsse sich etwa vor Augen halten, dass das Europaparlament gegen eine Untersuchung der Luxleaks-Affäre um die Steueroase Luxemburg gestimmt habe. «Obwohl mit allen linken Stimmen eine Mehrheit erreicht worden wäre.» Den Linken sei der Mut abhandengekommen, resümiert Slimani. «Wir scheuen die Konfrontation. Das ist fatal.»
Die linke Apathie habe das Erstarken der Rechten erst ermöglicht, ist die Jungpolitikerin überzeugt. In Frankreich, sagt Slimani, herrsche inzwischen eine enorme Enttäuschung. Weil Präsident François Hollande ein typisches Beispiel dafür sei, wie linke Regierungen ihren Untergang betrieben. «Im Wahlkampf hielt er die sozialistischen Werte hoch. Heute ist er zu schwach, um sich den Lobbyisten entgegenzustellen, und er schafft es auch nicht, die herrschende Wertedebatte zu prägen.» Viel zu lange, ist Slimani überzeugt, habe man sich, in einer gefühlten moralischen Überlegenheit, darauf verlegt, auf die Rechten zu reagieren. «Doch es reicht nicht zu sagen: Ihr seid rassistisch.» Sozialdemokratische Politik müsse vielmehr echte Alternativen bieten und eigene Botschaften haben.
Die bringen die linken Protestparteien wie Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien derzeit besser an die Leute als die klassische Linke. Auf dem Winterthurer Kongress ist deshalb die Frage entscheidend, wie sich die JungsozialistInnen positionieren. Den Antrag der Sozialistischen Jugend Österreich, sich mit Syriza solidarisch zu erklären, lehnt die Mehrheit der Delegierten zwar ab. Verabschiedet werden dafür aber ein Positionspapier «für mehr Demokratie in Gesellschaft und Wirtschaft in Europa» sowie ein Programm für Nachhaltigkeit und einen grünen Sozialismus. Dass es Handlungsspielraum gibt, ist bei den TeilnehmerInnen unbestritten. Es brauche Druck von unten, sagt Slimani. «Wir müssen stark genug sein, um den Kurs unserer Mutterparteien zu beeinflussen.» Immer wenn sich der Europarat trifft, wollen künftig auch die Yes zusammenkommen und eigene Positionen formulieren.
Ein Jahrzehnt der wachsenden Misere
Stark, das heisst für den Portugiesen João Albuquerque vor allen Dingen geeint. Die Länder des Nordens müssten endlich verstehen, dass die Realität des Südens sie einholen werde. «Wenn wir die Krise nicht gemeinsam lösen, wird das Problem uns alle treffen – früher oder später.»
Albuquerque ist kein resoluter Typ. Er spricht ruhig, sucht immer wieder nach dem treffenden Wort. Mit 28 Jahren gehört Albuquerque zu den älteren KongressteilnehmerInnen. Seit zehn Jahren ist er Mitglied der Juventude Socialista (JS). Es war in Portugal ein Jahrzehnt der wachsenden Misere: Obwohl das Land von der EU immer wieder als Musterschüler der Troika-Reformprogramme gelobt wird, beträgt die Auswanderungsrate inzwischen um die achtzehn Prozent. «Das sind so viele wie in den sechziger Jahren, während der Diktatur», sagt João Albuquerque.
Auch die meisten von João Albuquerques FreundInnen haben Portugal verlassen. Sie sind nach Moçambique ausgewandert, nach Deutschland oder England. Albuquerque selbst lebte nach seinem Politikstudium zwei Jahre in Brüssel, bevor er endlich eine Stelle in seiner Heimatstadt fand. Er hat einen Posten in der Lissaboner Stadtverwaltung bekommen und verdient dort 1300 Euro im Monat. Das ist weit mehr als der portugiesische Durchschnittslohn von 800 bis 900 Euro. Seit 2011 regiert in Portugal die konservative PDS. «Das Einzige, was die PDS geschafft hat, ist, die Schulden bei der Europäischen Zentralbank zu verringern», sagt Albuquerque, der inzwischen im Vorstand der JS sitzt. Ein echter Aufschwung findet in Portugal nicht statt. Die Arbeitslosenzahlen stagnieren. «Und die Leute sehen nicht, wie sich das mit der aktuellen Regierung ändern sollte», sagt Albuquerque.
Bei den Kommunalwahlen von 2013 waren die SozialistInnen in Portugal stark im Aufwind. João Albuquerque ist deshalb für die nationalen Wahlen im Herbst dieses Jahres zuversichtlich. Auch deshalb, weil es im Krisenland Portugal anders als in Spanien und Griechenland keine ernst zu nehmende Konkurrenz von Linksaussen mehr gibt: Der ähnlich wie Syriza und Podemos gelagerte Bloco de Esquerda hat mit seinem Boykott der Verhandlungen mit der EU und einem Bündnis mit Rechtsaussen bei den WählerInnen viel Kredit verspielt.
Dass Sozialistinnen und Sozialdemokraten noch immer die richtigen Antworten haben, glaubt auch Jack Storry, der in Britannien bei Young Labour für den internationalen Auftritt verantwortlich ist. Im Gegensatz zu seinen französischen NachbarInnen sieht er sich nicht im Konflikt mit seiner Mutterpartei: «Wir halten uns nicht gegenseitig die Pistole auf die Brust», sagt der 25-Jährige, der mit seiner James-Dean-Frisur leicht verwegen aussieht. Die richten die Labour-Parteien lieber auf die Konservativen, die seit fünf Jahren an der Macht sind. «Überall in Europa werden die Reichen reicher und die Armen ärmer», sagt Storry. «Bei uns passiert das im ganz grossen Stil.»
Nächsten Monat wählen die BritInnen. Und es dürfte äusserst knapp werden. Storry, den schon die Eltern an Wahlveranstaltungen der Labour-Partei schleppten, hofft auf einen Regierungswechsel. Seine Partei mache den Menschen realistische Versprechungen, sagt er: «Etwa: Wir erhöhen zwar die Steuern. Dafür sorgen wir für ein funktionierendes Gesundheitssystem.» Das seien klare Botschaften, die bei vielen ankämen.
Europa als Menschenrechtsfrage
Sorgen machen dem jungen Politiker jene «25 bis 30 Prozent der Briten, die du als Politiker nicht erreichst, weil sie nicht mehr an Europa glauben». In Grossbritannien lebten Menschen, die nur Arbeits- und Perspektivlosigkeit kennten. «Für sie ist die EU längst kein Hoffnungsprojekt mehr, sondern ein reines Finanzkonstrukt.»
Von dieser europäischen Desillusionierung ist Gökce Gökcen weit entfernt. Die junge Politikerin ist als einzige Vertreterin der Türkei nach Winterthur gereist. Gökcen trägt Minirock und einen Nasenring, ein leicht spöttischer Ausdruck liegt auf ihren rot geschminkten Lippen. «Europäerin zu sein, ist für mich immens wichtig», sagt die 23-Jährige. Die Zugehörigkeit zum Kontinent sieht sie als Menschenrechtsfrage: «Wir kämpfen in der Türkei für Pressefreiheit, für Redefreiheit und für soziale Freiheit – Werte, die für euch selbstverständlich sind.» Gökcen studiert Jus, nach ihrer Anwaltsprüfung strebt sie eine Universitätslaufbahn an. Sicher fühlt sich die Jungpolitikerin der grössten türkischen Oppositionspartei Cumhuriyet Halk Partisi (CHP) nie. Zu oft hat sie erlebt, wie Menschen aus ihrer Umgebung wegen eines Tweets oder einer Protestaktion für ein paar Tage verschwunden sind.
«Ein noch besseres Projekt»
Im Juni wird auch in der Türkei gewählt. Gökcen hofft nicht auf den Sieg. Aber sie hofft, dass Erdogans AKP es nicht schafft, die absolute Mehrheit zu erreichen. Die Opposition ist im türkischen Parlament zwar mit knapp vierzig Prozent vertreten, doch Allianzen lassen sich nur schwer bilden. Zu viel Misstrauen herrscht zwischen den einzelnen Parteien des linken Spektrums. Zwischen Kemalisten, Kurdinnen, KommunistInnen und Sozialreligiösen. Seit den Gezi-Protesten hat Gökce Gökcen Hoffnung, dass sich das ändern wird. «Wir sind dort zum ersten Mal zusammengekommen», sagt sie. Unter den jungen Protestierenden seien auch viele gewesen, die zuvor nicht politisch aktiv gewesen seien. Vor dem Aufstand habe man keine gemeinsame Sprache gehabt. «Seither ist unser gemeinsamer Protest der Humor.»
Aus den Gezi-Protesten vom letzten Juni ist das United June Movement hervorgegangen: ein oppositionelles Bündnis, das für Demokratie und Menschenrechte kämpft. Aber auch Gökcens Junge CHP hat viele neue Mitglieder dazugewonnen. Keiner habe damals geglaubt, dass sich von heute auf morgen etwas ändere, sagt Gökcen: «Doch die Gezi-Proteste wirken immer noch nach.»
Einen Aufstand wünscht sich die junge Türkin auch innerhalb der EU: «Europa ist als Friedensprojekt gegründet worden. Meine Generation muss das Beste aus dem ziehen, was davon noch übrig ist», sagt Gökcen, «und dann daraus ein noch besseres europäisches Projekt machen.»