Wende in Portugal: Von wegen Euro-Apokalypse
Seit Monaten erlebt Portugal einen kaum für möglich gehaltenen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Regierung des sozialistischen Premiers António Costa beweist, dass es auch jenseits einer rigiden Sparpolitik Wege aus der Krise gibt – dem Druck aus Brüssel und Berlin zum Trotz.
Ganz im Westen Europas, fern von Brüssel und Berlin, herrscht Bewegung: Portugal ist unter einer linken Regierung erst eine politische, dann auch eine beachtliche wirtschaftliche Kehrtwende geglückt. Die Jahre der Tristesse scheinen vorbei. «Die Menschen blicken zuversichtlicher in die Zukunft», sagt João Barata, ein 36-jähriger Fotograf, der wie viele seiner Landsleute lange im europäischen Ausland gearbeitet hat, ehe er wieder nach Portugal zurückgekehrt ist. «Früher drehten sich Gespräche in meinem Freundeskreis nur um die Troika, die Krise und darum, wie schlecht es allen geht. Etwa was die Arbeitsplatzsicherheit, die Arbeitsbedingungen oder auch Pensionskürzungen betrifft.» Nun endlich könne man auch mal wieder unbeschwert feiern gehen.
Dazu habe es ja zuletzt auch einige Gelegenheiten gegeben, sagt Barata und lacht – etwa als Portugals Fussballer die Europameisterschaft gewannen oder das Land beim Eurovision Song Contest triumphierte. «In gewisser Weise hat sich die Kehrtwende nicht nur in der Politik, sondern auch in den Köpfen der Portugiesen vollzogen: weg vom Pessimismus, der alles dominierte, hin zum Optimismus», sagt er.
Während anderswo in Europa die Sozialdemokratie orientierungs- und zahnlos wirkt und sich von den eigenen Wurzeln entfernt hat, beweist Portugals Premier António Costa vom Partido Socialista (PS), dass es auch anders geht. Costa ist ein «pragmatischer Optimist», jedenfalls bezeichnet er sich selbst so. Seit Ende November 2015 ist er Regierungschef.
Der Premier hat es geschafft, zur Stützung seiner sozialistischen Minderheitsregierung die lange zerstrittene Linke zu vereinen und die KommunistInnen (Partido Comunista Português, PCP) sowie den Linksblock (Bloco de Esquerda, BE) auf seine Seite zu ziehen; Letzterer ist Portugals Pendant zu Spaniens Podemos, wenn auch deutlich antikapitalistischer orientiert. Daraus entsprang das, was der konservative Exvizeregierungschef Paulo Portas noch abschätzig als «geringonça» bezeichnete, zu Deutsch: ein schräges, unsolides Konstrukt. Doch in der Praxis funktioniert dieses Konstrukt.
Mehr noch: Costas Kabinett verlieh, wie alle makroökonomischen Indikatoren belegen, der Ökonomie Flügel. Dabei galt Portugal lange als Krisenstaat, 2011 benötigte das Land noch eine Finanzspritze über 78 Milliarden Euro von der sogenannten Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission. Heute aber wächst die Wirtschaftsleistung rasant, für dieses Jahr werden sogar mehr als drei Prozent Anstieg erwartet. Parallel dazu sank dank des Investitions-, Bau- und Tourismusbooms die Arbeitslosigkeit bis Juli auf 9,1 Prozent, den EU-Durchschnitt; der Boom ist zwar auf die Metropolen Lissabon, Porto und die Peripherie der Azoren konzentriert, dafür aber weit weniger saisonabhängig als beim Nachbarn Spanien. Zuletzt hatte das Land eine so niedrige Arbeitslosenquote wie im Dezember 2008 registriert. Dazu kommt ein Defizit, das 2016 bei lediglich 2,1 Prozent lag – der niedrigste Wert seit der Nelkenrevolution im Jahr 1974.
Alles ganz einfach?
Für diese Erfolge lässt sich Costa landesweit auf grossflächigen Werbeplakaten feiern. Den Aufschwung erklärt der Premier lapidar damit, dass er alles exakt umgekehrt gemacht habe wie sein Vorgänger, der konservative Expremier und als Troika-Musterschüler geltende Pedro Passos Coelho. «Eineinhalb Jahre sind vergangen, seit wir an der Regierung sind, und trotzdem ist das Land noch immer nicht an den Teufel gegangen», sagte Costa im Juni in Lissabon. «Wir haben das Land nicht in eine Tragödie gesteuert. Ganz im Gegenteil.» Wo die Vorgänger Pensionen und Gehälter gekürzt hatten, um das Budget zu sanieren, hat seine Regierung diese erhöht. Und wo die Steuerlast stieg, steuerte Costas Kabinett entgegen. «Das Rezept ist einfach», sagte Costa, «nicht mit Kürzungen saniert man den Haushalt, sondern mit dem Vertrauen der Familien und Unternehmer.»
Um dieses zu gewinnen, setzte Costa zudem auf populäre Massnahmen. Etwa in der Energieversorgung, wo nun auf Drängen der KommunistInnen der Strompreis wieder reguliert werden wird, oder beim gesetzlichen Mindestlohn, der derzeit noch unter 650 Euro monatlich liegt, binnen der kommenden vier Jahre aber um 25 Prozent steigen soll. Weitere Beispiele sind die Einführung der 35-Stunden-Woche für BeamtInnen und die Senkung der Mehrwertsteuer auf 23 Prozent, im Hotelgewerbe und der Gastronomie sogar auf 13 Prozent. Auch mit der Rücknahme der Privatisierung der Fluglinie TAP Air Portugal gewann Costa Sympathien in der Bevölkerung.
Dank all dieser Schritte schwimmt die Regierung auf einer regelrechten Welle der Euphorie. Gegenwärtig würden mehr als 42 Prozent der Bevölkerung Costa wählen. Zum Vergleich: Bei der Parlamentswahl Ende 2015 waren etwas mehr als 32 Prozent der Stimmen auf die SozialistInnen entfallen. Selbst der Ton aus Brüssel, wo man beim Amtsantritt der portugiesischen Linksregierung noch die Euro-Apokalypse heraufziehen sah, wird milder.
Dem «Braindrain» gegensteuern
Eine Pionierinitiative startete Costa nun gegenüber den in der Krise Ausgewanderten: Während sein Vorgänger Passos Coelho die junge Generation noch ausdrücklich dazu aufforderte, ins Ausland zu gehen, lädt Costa sie dazu ein, zurückzukehren. Es sei höchste Zeit, die während der Krise emigrierten jungen und gut ausgebildeten PortugiesInnen wieder in die Heimat zu locken. In Kooperation mit dem portugiesischen Unternehmerbund tritt die Regierung gezielt an junge AuslandsportugiesInnen heran, um sie mit attraktiven Konditionen zu ködern. Fürs Erste peilt das Land an, 100 000 Menschen zur Rückkehr zu bewegen. Zudem soll es staatliche Subventionen für JungunternehmerInnen mit Gründerambitionen geben. Abgesehen vom «Braindrain», der Abwanderung von Fachkräften ins Ausland, will die Regierung damit der rasanten Überalterung der Gesellschaft entgegenwirken.
«Rund eine halbe Million Portugiesen sind seit Krisenbeginn ausgewandert, darunter mehrheitlich junge, gut ausgebildete, die hier keine Perspektive mehr für sich sahen. Eine derartig grosse Emigrationswelle hat Portugal seit der faschistischen Militärdiktatur unter António de Oliveira Salazar nicht mehr erlebt», sagt Paula Santos aus der Stadt Setúbal, die seit 2009 kommunistische Parlamentsabgeordnete ist. So verzeichneten die Vereinten Nationen für Portugal seit 2013 konstant mehr als 110 000 EmigrantInnen pro Jahr. Knapp 22 Prozent aller PortugiesInnen – also rund 2,3 Millionen Menschen – leben inzwischen im Ausland. Damit ist Portugal das EU-Land mit der zweitgrössten Auslandsbevölkerung nach Malta (24,3 Prozent) und vor Kroatien (20,6).
Noch immer sind die Gehälter tief
Für die Kommunistin Santos, die im portugiesischen Parlament die Kommission für die Europäische Union und Internationales leitet, ist die Emigration nach wie vor ein grosses Problem. In erster Linie liege das an der Arbeitsmarktsituation: Noch immer seien die Gehälter niedrig, noch immer gebe es zu wenig offene Stellen. Selbst HochschulabsolventInnen verdienen oft nur 700 Euro pro Monat: «Sich vom Elternhaus zu emanzipieren, eine bezahlbare Wohnung zu finden oder gar eine Familie zu gründen – das grenzt für viele noch an ein Ding der Unmöglichkeit», sagt Santos.
Für André Couto dagegen ist das Glas eher halb voll denn halb leer. Der 35-jährige Sozialist ist Präsident der Stadtgemeinde Campolide, eines Arbeiterquartiers im Zentrum von Lissabon. «Wir haben gute Zukunftsperspektiven», sagt er. Bereits als 26-Jähriger zog Couto in den Gemeinderat ein. Dann führte er diesen erst durch und nun aus der tiefen Wirtschaftskrise.
Der studierte Jurist ist überzeugt: «Wir machen Geschichte hier in Portugal.» Nach dem Ende der Salazar-Diktatur und der Nelkenrevolution habe die Kommunistische Partei eine Zeit lang versucht, ein kommunistisches Regime einzuführen. «Eines der Hindernisse, die sich ihnen damals in den Weg stellten, das waren wir, die Sozialistische Partei», erzählt Couto. In dieser Ära nahm das Verhältnis von Kommunisten und Sozialistinnen schweren Schaden, über Dekaden gab es praktisch keinerlei Zusammenarbeit. Erst vor knapp zwei Jahren änderte sich das abrupt.
Die Annäherung sei der einzige Weg gewesen, meint Couto, um in Portugal eine politische Kehrtwende vollziehen zu können. Zudem sei Costas Sieg bei den sozialistischen Vorwahlen 2014 entscheidend gewesen; damals übernahm dieser den Parteivorsitz von António José Martins Seguro. «Seguro war schwach», sagt Couto rückblickend, «er machte nur eine zahme Oppositionspolitik. In gewisser Weise war er eine portugiesische Version von Frankreichs Expräsident François Hollande, eine Katastrophe für die Partei. So kann man nicht gegen die neoliberale Rechte auftreten und schon gar nicht gewinnen.»
Differenzen nur noch Nebensache
Als die SozialistInnen dann aber den Forderungen der Troika die Stirn geboten hätten, hätten die Differenzen mit den anderen Linksparteien schlagartig an Bedeutung verloren. Nur so sei es letztlich möglich gewesen, eine parlamentarische Mehrheit im Land zu gewinnen. «Es war notwendig, die alten Rivalitäten zu begraben und sich zu versöhnen», sagt Couto. «Und man sieht: Es funktioniert.»
André Couto glaubt gar, dass Costa, selbst wenn er die kommenden Wahlen mit absoluter Mehrheit gewinnen würde und nicht mehr auf den Rückhalt der KommunistInnen und des Bloco angewiesen wäre, trotzdem weiter mit beiden Kräften zusammenarbeiten würde. «Das würde dem Land guttun», sagt Couto, der zugleich hoffnungsvoll auf die englische Schwesterpartei blickt: «Labour-Chef Jeremy Corbyn zeigt genauso wie wir, dass eine andere linke Politik möglich ist.»
Auch die kommunistische Abgeordnete Santos ist mit der Allianz zufrieden: «In den meisten Fragen sind wir einer Meinung. Es geht darum, dem Volk Lösungen zu bieten.» Die PCP und der Bloco sehen ihre Aufgabe vor allem darin, dafür zu sorgen, dass Costa auf Linkskurs bleibt und der EU und den Troika-Gläubigern weiterhin die Stirn bietet. Beide Parteien fordern, dass sich der Aufschwung positiv auf die Lebensqualität der ArbeitnehmerInnen und deren Rechte auswirkt. Und dass die Regierung ihren grundlegenden Verpflichtungen gegenüber den ArbeiterInnen nachkommt.
Raus aus der Eurozone?
Für den PCP sei es zudem essenziell, «unsere Souveränität als Staat bei der Gestaltung unseres Budgets zurückzugewinnen», wie Santos betont. «Der Euro hatte verheerende Konsequenzen für Portugal», glaubt sie. Die «Vorschläge» der EU-Kommission für «Strukturreformen» seien nichts anderes als rigide Sparmassnahmen. «Es ist eine permanente Erpressung», sagt Santos. Daher müssten sich «die Portugiesen darauf vorbereiten, aus der Wirtschafts- und Währungsunion auszutreten». Alles andere wäre unverantwortlich, der Euro sei ohnehin nicht für die Staaten Südeuropas gemacht: «Er hat die Gräben zwischen dem Süden und dem Norden nur vertieft.»