Entrechtungsinitiative: Willkommen in der Realität!

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Das Politikjahr hat überraschend begonnen. Die SVP wollte den Abstimmungskampf für die sogenannte Durchsetzungsinitiative starten. Sie hat den Einsatz verstolpert. Ausgerechnet Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt, den die Partei im letzten Jahr als ihren Musterintellektuellen aufbaute, meldet starke Bedenken gegen die Initiative an: Bei Secondos und Secondas dürfe es nicht zu einer Ausschaffung kommen. «Secondos gehören zwar nicht zur Gemeinschaft der Schweizer Bürger, aber sie gehören zu unserer Rechts- und Sozialgemeinschaft», erklärte Vogt in der «Schweiz am Sonntag».

Gleichentags dementierte SVP-Sekretär Martin Baltisser – einer unserer sauberen Schweizer, der im letzten Jahr wegen Aufruf zu Rassendiskriminierung und Hass verurteilt wurde –, bei Vogts Einwänden handle es sich um dessen persönliche Meinung. Und schon am Montag erschallte der Ordnungsruf von Christoph Blocher: Eine Ausnahme für Secondos stehe im klaren Widerspruch zur Initiative.

Willkommen in der Realität! Der Streit über die Exegese lässt die SVP-Glaubenslehre mit der Wirklichkeit kollidieren: mit der migrantischen Gesellschaft Schweiz im 21. Jahrhundert. Der unmenschliche Charakter der Initiative tritt in aller Schärfe hervor: Betroffen wären Hunderttausende von Secondos und Secondas, die auch wegen Bagatelldelikten wie «Sozialmissbrauch» von der Ausschaffung in Länder bedroht wären, in denen sie meist gar nie gelebt haben. Betroffen wären Hunderttausende von Müttern und Vätern, die in ständiger Sorge leben müssten, dass ihre Familien auseinandergerissen werden könnten.

Mitbürger Vogt scheint im Gegensatz zu den Mitbürgern Baltisser und Blocher immerhin zur Kenntnis genommen zu haben: Jene mit dem Schweizer Pass sind nicht allein hier. Es leben noch viele andere seit Jahren und Jahrzehnten in diesem Land. «Rechts- und Sozialgemeinschaft» – eigentlich gar kein schlechter Begriff für das Gemeinwesen, das die SVP sonst nur als eines, reines Volk beschwört.

Dass nun aber die Initiative komplett umgedeutet werden könnte, ist Wunschdenken. Juristisch gelten alle als AusländerInnen, die keinen Schweizer Pass haben – sie müssten nach dem Willen der Initiative automatisch ausgeschafft werden. Um eine Prüfung im Einzelfall zu ermöglichen, bräuchte es jedes Mal einen langen Marsch durch die Gerichte. Mit den bekannten Tiraden der SVP gegen Gewaltentrennung und Völkerrecht als Folge. Nachdem sich das Bundesgericht in einem Leiturteil unlängst geweigert hatte, einen jungen Thurgauer nach Mazedonien auszuschaffen, hetzte Blocher gegen die RichterInnen: «Für schweizerische Verhältnisse nennt man das Diktatur.» Brechen die Widersprüche in der Partei auf, sieht man wieder einmal, wer der finsterste Geselle im Umzug ist.

Vor allem aber ist die Frage nach der Umsetzung vorauseilend, liegt doch die einzige Antwort zum Schutz der Secondos und Secondas bereits vor: ein klares und deutliches Nein am 28. Februar. Mit der Härtefallklausel hat das Parlament bei der Ausschaffungsinitiative eine – wenn auch viel zu strenge – Regelung beschlossen, mit der sich Ausschaffungen von Secondos und Secondas verhindern lassen.

Die bisher treffendste juristische Analyse, worum es am 28. Februar geht, stammt von Altbundesrichter Niccolò Raselli. Im Beitrag «Die Durchsetzungsinitiative – ein Monstrum» auf unser-recht.ch schreibt er: «Mit der Überhöhung des sogenannten Volkswillens und dem damit einhergehenden Versuch, die dritte Gewalt auszuschalten, würde sich die plebiszitäre Diktatur in Richtung autoritärer Staat bewegen.»

Angst verbreiten für zwei Millionen ohne Schweizer Pass, das ist das Ziel dieser Entrechtungsinitiative. Sich von der Angst zu befreien, könnte bestenfalls das Ergebnis sein. Mit einer Ablehnung wäre auch die Definitionsmacht der SVP fürs Erste gebrochen: Statt des absolut gesetzten Volkswillens bildeten wieder die Menschenrechte die Grundlage des Staates – und der Auseinandersetzung über seine Zukunft. Eine stolze Rechts- und Sozialgemeinschaft würde sich selbstverständlich nicht mit einer Härtefallklausel begnügen, sondern die Zweiklassenjustiz abschaffen und die politische Mitbestimmung für alle einführen.