Kitchen Politics: Legitimiert der Kinderwunsch alles?
Ein queerfeministisches Kollektiv namens Kitchen Politics greift mit seiner gleichnamigen Buchreihe in wichtige gesellschaftspolitische Debatten ein. Der aktuelle Band thematisiert die neuen Reproduktionstechnologien.
In der linken Technikeuphorie der sechziger und siebziger Jahre gab es Feministinnen, die sich von der Entwicklung der Reproduktionstechnologie Entlastung und Befreiung der Frauen versprachen. Die damals einflussreiche Radikalfeministin Shulamith Firestone etwa erwartete von den technisierten Möglichkeiten der Fortpflanzung die Zerschlagung der bürgerlichen Familie.
Heute müssen wir feststellen: Künstliche Befruchtung, Präimplantationsdiagnostik, Social Freezing, Eizellspende, Leihmutterschaft oder was der Kinderwunschmarkt sonst noch alles im Angebot führt, haben keine neuen Lebensmodelle hervorgebracht. Sie haben im Gegenteil die sozialen Verhältnisse den Prämissen der Biologie unterworfen und die Kleinfamilie zu neuen Weihen gebracht. Die technischen Möglichkeiten werden nicht etwa dafür eingesetzt, die biologischen Beschränkungen oder die Hindernisse der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zu überwinden – sie zementieren diese vielmehr. Der auf Blutsbande basierende Kinderwunsch ist im Namen der Selbstbestimmung zum Motor dafür geworden, alles technisch Machbare zu legitimieren und ausserdem die globalen Ungleichheiten auszunutzen, um zu einem «eigenen Kind» zu kommen.
Von «Bestelleltern» und Leihmüttern
An diesem Paradox setzt ein queerfeministisches Kollektiv mit dem sprechenden Namen Kitchen Politics an. Es plant den «Aufstand aus der Küche, dem Schlafzimmer, dem Strassenstrich, der Fabrik, der Agentur, der Bürozelle, dem Bibliotheksplatz und vielen anderen Orten». Im dritten Band der gleichnamigen, an die handlichen Merve-Bändchen erinnernden Buchreihe gehen die Herausgeberinnen der Frage nach, welche Folgen es hat, wenn klinische oder reproduktionsmedizinische Tätigkeiten – seien es «Spenden» von Gewebe wie etwa Eizellen, die Arbeit als Probandinnen in der klinischen Forschung oder aber die Verfügbarkeit als Leihmütter – Bestandteil der Wertproduktion werden und gleichzeitig auf ein privatistisch organisiertes «Projekt Kind» ausgerichtet sind.
Susanne Schultz und Felicita Reuschling von Kitchen Politics organisieren dabei einen äusserst produktiven Austausch mit den marxistisch orientierten Theoretikerinnen Melinda Cooper und Catherine Waldby. Sie diskutieren, wie sich die Inwertsetzung von Körpern und Körperteilen auswirkt oder wie Verträge und Arbeitsverhältnisse, etwa zwischen «Bestelleltern» und Leihmüttern, beurteilt werden sollen.
In einem gemeinsamen Beitrag zeigen Waldby und Cooper auf, warum im neoliberalen Zeitalter das fordistische Modell des Familienlohns an sein Ende kommt: Prekäre Arbeitsverhältnisse und steigende Kosten der Familiengründung führen dazu, dass der Kinderwunsch zeitlich aufgeschoben wird und unter Umständen nicht mehr erfüllbar ist. Hier setzt der Reproduktionsmarkt an und mobilisiert das Potenzial von Leihmüttern, während die regenerative Medizin auf die Körperstoffe von Menschen in armen Ländern zugreift. So werden etwa Eizellen als «Spenden» und «Gabentausch» getarnt in Umlauf gebracht.
Die Autorinnen vergleichen dies mit anderen Formen von Sexarbeit, die Frauen «in unmittelbare körperliche Schuldknechtschaft» bringt. Denn die ihnen diktierten Verträge entziehen ihnen die Verfügung über ihren Körper und über das Kind, das sie austragen. Cooper beleuchtet in kritischer Auseinandersetzung mit Marx darüber hinaus, welche Rolle diese «reproduktive Reservearmee» spielt und in welchen Clinch das auf Verträgen beruhende Reproduktionsgeschäft mit dem bürgerlichen Familienrecht gerät.
Alternative Familienformen
Was aber resultiert nun aus feministischer Perspektive aus diesen Befunden? Handelt es sich um gewöhnliche Arbeitsverhältnisse, die sich regulieren lassen mittels angemessener Bezahlung für Eizellen und mehr Arbeitsschutz für die betroffenen Leihmütter in Indien und anderswo? Oder hat diese Form von Körperarbeit einen Sonderstatus, und sollte man deshalb in Ländern mit relativ hohen ethischen Standards dafür kämpfen, dass bestimmte Reproduktionstechnologien verboten bleiben? Und haben Kinder, die aus einer Verbindung von Bestellpaar, Eizellspenderinnen und/oder Leihmüttern hervorgehen, nicht eigene Rechte? Über diese Konfliktlinien hinaus machen die deutschen Herausgeberinnen auch auf die demografischen Interessen des Staates aufmerksam und auf den Möglichkeitsraum für alternative Familien- und Lebensformen.
Ein Problem des Buchs dürfte allerdings die selbstverständlich vorausgesetzte marxistische Terminologie und der damit verbundene Duktus sein. Selbst auf heutigen «Bibliotheksarbeitsplätzen» ist das nicht mehr ohne weiteres konsumierbar.
Und Interesse wünscht man sich nicht nur in der Bibliothek für die neue Buchreihe «Kitchen Politics». Den Auftakt machte eine Studie über Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus, mit der die in den USA und Italien bereits bekannte Theoretikerin Silvia Federici in den deutschsprachigen Raum eingeführt wird. Im Lauf dieses Jahres folgt dann der Band «Wofür wir kämpfen», in dem es um Fragen des Zusammenlebens in queeren Communitys gehen soll.
Melinda Cooper, Catherine Waldby, Felicita Reuschling und Susanne Schultz: Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit. Biotechnologie, Reproduktion und Familie im 21. Jahrhundert. Edition Assemblage. Münster 2015. 152 Seiten. 15 Franken