Von oben herab: Digital ist besser

Nr. 4 –

Stefan Gärtner über die Revolution in Davos

Das Schöne an meinem Beruf ist, dass ich täglich Neues lerne: Philipp Rösler, den ehemaligen reichsdeutschen FDP-Chef und Gesundheitsminister, hatte ich glücklich vergessen, und eben erfahre ich, dass er längst wieder voll im Saft steht, nämlich als «Vorstandsmitglied» eines «World Economic Forum», von dem ich ebenfalls noch nie etwas gehört habe, weil mir alte «Schimanski»-Folgen, F. Scott Fitzgerald und ein Kindergartenplatz ohne Frühförderquatsch zurzeit einfach wichtiger sind.

Dieses World Economic Forum tagt also jährlich in Davos, leistet sich abgehalfterte Liberale als Vorstandsmitglieder und wälzt so weltbewegende Themen wie die «vierte Internationale», korrigiere: «vierte industrielle Revolution», nämlich die sog. «Digitalisierung», und das unter Beteiligung aller verfügbaren Fachkräfte: «Mit fast 50 Staats- und Regierungschefs haben wir einen neuen Rekord gebrochen», freute sich Rösler im digitalen «Blick». «Mit dem Argentinier Mauricio Macri und dem Kanadier Justin Trudeau waren zwei jüngst gewählte Staatsmänner in Davos», um sich von Rösler den Unterschied zwischen Windows 8, 9 und 10 erklären zu lassen; falls man im ewigen Schwellenland Argentinien nicht noch mit XP herumdoktert!

Diese «Revolution» jedenfalls ist «eine grosse Chance», birgt aber auch, o weh, allerlei Risiken: «Wir müssen daran arbeiten, dass alle mithalten können und sich soziale Unterschiede nicht weiter vergrössern. Wenn wir uns darauf einstellen, können wir die Technologie zum Guten nutzen.» Da musste sogar der «Blick» lachen: «Eine Studie der UBS zeigt: Die entwickelten Länder werden ihren Vorsprung gegenüber Entwicklungsländern weiter ausbauen. Deren aktueller Vorteil, ‹billige› Arbeitskräfte bieten zu können, geht verloren. Steht unsere Welt vor einer neuen Zerreissprobe?» I wo: «Billiglöhne sind keine Möglichkeit mehr, wettbewerbsfähig zu sein. Das ist ja auch gut so. Viele Staaten haben das verstanden und setzen deshalb stärker auf Forschung, Technologie und Innovationen. Die digitale Revolution kann die Hierarchie in der Weltwirtschaft also durchaus flacher werden lassen.»

Und dann kann, wo die einen die Solarheizung ihres begehbaren Kleiderschranks per App steuern und die anderen für ein sonniges Lächeln unseren Daddelkram zusammenlöten, die Hierarchie durchaus so flach werden wie die Denkbeiträge unserer optimistischen Liberalen («Das sollte uns allen Mut machen»). Deren Herzensanliegen bekanntlich von jeher ist, dass alle, alle mitkommen, auch wenn die einen naturgemäss etwas mehr mitkommen als die anderen – «Wucher am WEF: Raum kostet 500 000 Franken» (20min.ch) – und das Forum, wie der unermüdlich kritische «Tages-Anzeiger» wusste, «kein Ziel hat – ausser sich selbst: die Partys, das Marketing, das Networking. […] Als Treffen der Geldelite steht Davos somit schon von der Konstruktion her im Gegensatz zu dem, was [der britische Ökonom] Haque den ‹zentralen politischen Fortschritt der Moderne› nennt: ‹dass Macht dazu dient, Wohlstand und Fortschritt zu ermöglichen – und nicht Wohlstand und Fortschritt Macht.›»

Von der Konstruktion her völlig falsch, und die Geldelite schmeisst für sich Millionenpartys: Man möchte finden, als Symbol dessen, was britische Ökonomen 150 Jahre nach Marx noch überrascht und mich zu Schimanski («Scheisse») flüchten lässt, taugt Davos dann aber doch.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.