Burundi: Die Union der Sesselkleber setzt wieder einmal auf Dialog

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Burundi steht an der Schwelle zum Bürgerkrieg. Die Afrikanische Union schaut tatenlos zu, und die internationale Gemeinschaft pocht auf das Einhalten der Verfassung. Doch darum geht es gar nicht.

Bis vor wenigen Jahren galt Burundi als Erfolgsgeschichte der Friedenskonsolidierung. Doch die Gewalt in den Strassen der Hauptstadt Bujumbura hat in den letzten Monaten kriegerische Züge angenommen. Bereits vor einem Jahr gingen regierungstreue Sicherheitskräfte und paramilitärische Organisationen primär gegen RegimekritikerInnen vor. Inzwischen richtet sich ihre Aggression längst gegen ZivilistInnen, die bloss im Verdacht stehen, mit der Opposition zu sympathisieren. Innert eines Jahres sind über 430 Todesopfer zu beklagen, rund eine Viertelmillion Menschen haben das Land fluchtartig verlassen, und Amnesty International will nun auf Satellitenbildern fünf Massengräber ausgemacht haben.

Monopolisierung der Macht

BeobachterInnen befürchten, dass die Spannungen erneut in ethnische Massaker und in einen Bürgerkrieg münden könnten: Ein solcher hat in Burundi zwischen 1993 und 2005 rund 250 000 Menschenleben gefordert. «Die Vorzeichen heute deuten nicht auf einen Genozid hin, obschon vor allem die Regierung immer wieder die ethnische Karte zieht», erklärt Judith Vorrath, Sicherheitsexpertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Vor allem die Opposition ist ethnisch heterogen. Doch die meisten Menschen, die dennoch fliehen, verlassen das Land, weil sie eine Wiederholung der Geschichte fürchten.

Obschon sich die Situation in den letzten Monaten massiv zugespitzt hat, verbittet sich das Regime von Pierre Nkurunziza jegliche Intervention von externen Institutionen. Sein autoritäres Gebaren legitimiert Nkurunzizid mit dem Hinweis, die Regierung erfülle alle zentralen Vorgaben der Verfassung. Dazu zählen laut einer Analyse des Giga-Instituts für Afrika-Studien demokratische Wahlen, die Erfüllung ethnischer Quoten, die Mandatsbeschränkung sowie die Beteiligung der Opposition an der Regierung. Allerdings wurde die Opposition immer wieder massiv unter Druck gesetzt. Als sie dann 2010 die Wahlen boykottierte, geriet sie definitiv ins machtpolitische Aus. So schaffte es die Partei Nkurunzizas, alle staatlichen Institutionen zu dominieren.

Dass internationale Organisationen wie die EU und die Afrikanische Union (AU) dennoch auf die Einhaltung der Verfassung pochen, erstaunt: Das Nkurunziza-Regime wähnt sich im Recht, zumal sich die Monopolisierung der Macht in den letzten Jahren weitgehend innerhalb rechtsstaatlicher Strukturen vollzog. Ein Beispiel dazu: Um die Opposition mundtot zu machen, die stets das Einhalten der Konstitution forderte, wies die zweite Kammer des Parlaments das oberste Gericht 2015 an, eine dritte Amtszeit Nkurunzizas auf Verfassungskonformität zu prüfen. Es war ein abgekartetes Spiel: Nach massivem Druck auf die Richter liess das Verfassungsgericht verlauten, Nkurunzizas erste Zeit als Präsident sei nicht als Amtszeit zu interpretieren, weil er 2005 nicht vom Volk gewählt, sondern vom Parlament eingesetzt wurde. Diese Entscheidung löste eine Protestwelle in der Bevölkerung aus und heizte die staatliche Repression nochmals gewaltig an.

Schlafende Hunde

Die autoritären Tendenzen des Regimes zeichneten sich allerdings schon früher ab. Die Einschüchterung von Journalistinnen und politischen Gegnern zähle seit langem zum Repertoire der Regierungspartei, erklärt Julia Grauvogel, Politikwissenschaftlerin am Giga-Institut.

Verfassungsrechtlich versucht das Regime nach wie vor, sich international unangreifbar zu machen. Die Opposition verweist gern auf den Wegbereiter der heutigen Verfassung: auf den Friedensvertrag von Arusha aus dem Jahr 2000, die Grundlage für die Beendigung des Bürgerkriegs. Dieser ist für die Regierungspartei aber kaum massgebend: Sie hat das Abkommen damals nicht mitunterzeichnet, weil sie erst später gebildet wurde. Dennoch empfiehlt die AU wiederholt, den «Geist Arushas» wirken zu lassen. Gegen eine dritte Amtszeit spricht sie sich nicht aus: Zu viele ihrer Mitglieder kleben schon zu lange im Sessel und wollen keine schlafenden Hunde wecken. «Mutiger agiert etwa die ostafrikanische parlamentarische Versammlung», sagt Julia Grauvogel. «Ihre Delegierten sprechen öffentlich von Menschenrechtsverletzungen, politisch motivierten Morden und Vergewaltigungen. Allerdings ist sie längst nicht so relevant wie die AU.»

Keinen Präzedenzfall schaffen

Immerhin drohte die AU im Dezember damit, eine 5000-köpfige Friedenstruppe nach Burundi zu schicken. Nkurunziza hatte den angedrohten Einsatz zwar als «Invasion» bezeichnet, doch die AU wäre rechtlich in der Lage gewesen, auch gegen den Willen der Regierung SoldatInnen in ein Mitgliedsland zu entsenden. Dazu hätten die Staats- und Regierungschefs die Gefahr von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen mit einer Zweidrittelmehrheit anerkennen müssen. «Bis jetzt hat die AU ausschliesslich auf Militärputsche harsch reagiert», so Julia Grauvogel, «denn dies fürchten ihre Mitglieder am meisten.» Letztlich kamen die AU-Mitglieder in Äthiopien zum Schluss, die Situation in Burundi werde überspitzt dargestellt. Sie beschlossen, erneut auf den «Dialog mit der Regierung» zu setzen.

Yahya Jammeh, der Präsident von Gambia, erklärte beispielsweise, die AU sei da, um den Frieden und die Sicherheit auf dem Kontinent zu wahren, und nicht, um einem souveränen Staat den Krieg zu erklären. Zahlreiche weitere Staatschefs wie Jacob Zuma aus Südafrika und John Magufuli aus Tansania haben sich ebenfalls gegen ein unilaterales Eingreifen ausgesprochen. Denn dies hätte einen Präzedenzfall geschaffen, den viele afrikanische Regimes fürchten würden. Ugandas Präsident Yoweri Museveni, der von der East African Community (EAC) eingesetzte Vermittler der AU im Burundikonflikt, erschien schon gar nicht erst in Addis Abeba. In dieser Rolle hat er bis anhin auch kläglich versagt. Einerseits fanden die geplanten Aussöhnungsverhandlungen in Kampala gar nie statt. Andererseits ist er als Mediator gänzlich ungeeignet, zumal er, der selbst seit dreissig Jahren Staatspräsident ist, nun erneut für dieses Amt kandidiert.

Schon vor zehn Jahren hat Museveni die Verfassung geändert, die eine Amtslimite vorsah. Diese Strategie verfolgt nun unter anderem Ruandas Präsident Paul Kagame: Er stellte sich für eine dritte Amtszeit «zur Verfügung», wenn dies «der Wunsch der Bevölkerung» sei. Bei einer Volksabstimmung im letzten Dezember «wünschten» dies tatsächlich 98,3 Prozent der Abstimmenden. Allerdings unterband staatliche Repression jegliche Opposition im Land.

Es mutet daher befremdlich an, wenn diverse Staaten und internationale Organisationen immer wieder fordern, die Verfassungen müssten geachtet werden, die eine dritte Amtszeit untersagen. Die Sesselkleber rund um die Grossen Seen berufen sich ständig auf ihre Konstitutionen. Wenn die entsprechenden Regelungen den eigenen Interessen im Weg stehen, brechen sie nicht etwa das Gesetz, sondern versuchen, es neu zu interpretieren, zu modifizieren oder zu beugen. Die Dynamik in Burundi stellt im subsaharischen Afrika keinen Einzelfall dar: Viele Regierungen sind sogenannte elektorale Autokratien, deren Legitimität von vermeintlich demokratischen beziehungsweise plebiszitären Verfahren abhängt.

Dramatik der Lage anerkennen

Am Gipfel in Addis Abeba gab es einige wenige Mitglieder, die sich vom Ergebnis enttäuscht zeigten. Der zum neuen Vorsitzenden der AU gewählte Staatschef des Tschad, Idriss Déby, bedauerte etwa, dass die AU seit dreissig Jahren gleich reagiere: «Wir treffen uns oft, reden viel, schreiben eine Menge, tun aber nicht genug. Und manchmal tun wir gar nichts.»

Laut Julia Grauvogel sind in Burundi die meisten Leute enttäuscht, aber nicht überrascht von der Tatenlosigkeit der AU: «Sie befürchten, dass Burundi aus den Traktanden der internationalen Gemeinschaft verschwindet.» Die burundische Diaspora versuche, vermehrt Druck auszuüben und die oppositionellen Kräfte im Exil zu bündeln, um bei Verhandlungen eine stärkere Position zu haben, sagt die Wissenschaftlerin. «Und sie wünscht sich eine Aufklärung der Verbrechen der letzten Monate.» Denn im Land gibt es derzeit weder unabhängige Medien noch Menschenrechtsorganisationen, die auf Verbrechen hinweisen könnten. Eine regimekritische, charismatische Persönlichkeit, die die Opposition und die verzettelten Rebellengruppen vereinen könnte, ist gemäss Julia Grauvogel aber nicht in Sicht. «Immerhin haben viele westliche Länder ihre Kooperationen eingestellt.»

Diskutiert werden derzeit Massnahmen wie weitere Sanktionen und Reisebeschränkungen sowie vonseiten der EU und der USA die Einfrierung von Auslandsvermögen bestimmter Personen. Laut Judith Vorrath denken einige ExpertInnen auch etwa an einen Abzug der burundischen AU-Truppen aus Somalia: «Das wäre für Nkurunziza ein Schlag, denn er müsste plötzlich Tausende von Soldaten finanziell auffangen, deren Loyalität zu ihm ohnehin fragwürdig ist.» Einen solchen Ausschluss hält sie allerdings für unrealistisch.

Aus Sicht der Regierung in Bujumbura stellt sich die Situation nach dem Gipfel dar wie zuvor. Burundi sei zufrieden mit dem Gipfelbeschluss und zur Kooperation mit der AU bereit, sagte Aussenminister Alain Aimé Nyamitwe. Die Absicht, erneut eine hochrangige Delegation der AU nach Burundi zu schicken, sei aber Zeitverschwendung: «Die Position der Regierung ist ja allen bestens bekannt.»

Tutsi und Hutu

Rund 8,5 Millionen BurunderInnen zählen sich zu den Hutu, etwa 1,4 Millionen zu den Tutsi. Doch diese beiden sozialen Gruppen bilden eine einzige Ethnie, die Rundi, mit einer gemeinsamen Geschichte, Kultur und Sprache. Rund ein Prozent der Bevölkerung gehört zu den Twa (Pygmäen).

Erst infolge kolonialer Machtpolitik wurden Hutu und Tutsi als Volksgruppen oder Stämme missverstanden. Das wichtigste Kriterium für die Aufteilung der Menschen war – neben rassistischen Kriterien wie Grösse oder Charakter – die wirtschaftliche Basis: Tutsi waren RinderzüchterInnen mit mehr als zehn Tieren, als Hutu wurden die BäuerInnen bezeichnet.

Diese Unterteilung ermöglichte es den Kolonialmächten, eine einheimische Elite zu bilden, die den Rest der Bevölkerung im Sinn der KolonialistInnen regierte: Die Konflikte zwischen der regierenden Minderheit und der zahlenmässig überlegenen Mehrheit der Hutu nach dem Abzug der Kolonialmächte gipfelte in den gemeinhin als «Völkermorde» bezeichneten Bürgerkriegen in Ruanda und Burundi in den neunziger Jahren.